Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

588

Indische Ethnographie

Volk ist fast ganz hinduisiert und hat seine Muttersprache bis auf den kleinen Rest aufgegeben.

Von den Draviden haben nur noch die in den Gebirgen lebenden Stämme ihre Eigenart bewahrt. Die Draviden der Ebene sind schon früh ganz brahmanisiert worden, und in der ind. Litteratur nehmen sie einen hervorragenden Platz ein. Am bekanntesten sind von den Bergvölkern die Toda (s. d., Bd. 15) in den Nilgiri um Utakamand herum. Sie können als die besten Vertreter ihrer Rasse angesehen werden. Sie sind hohe, muskulöse Gestalten mit großen Nasen, schönen, braunen Augen und feinem, lockigem Haar, das ebenso wie ihre Haut ganz dunkel ist, und schwarzen, üppigen Bärten. Die Toda leben ausschließlich von der Büffelzucht. Es herrscht bei ihnen die Polyandrie. Die Frau wird gekauft und gehört den Brüdern einer Familie gemeinschaftlich. Die Kinder werden der Reihe der Geburt nach den Brüdern vom ältesten anfangend zugeteilt, so daß von Eltern- und Kinderliebe nicht viel die Rede sein kann. Von den weiblichen Kindern läßt man nur das älteste leben; die übrigen werden erdrosselt. Die Folge davon ist, daß die Toda im Aussterben begriffen sind; der Census von 1891 verzeichnet nur noch 736. Bei der Hochzeit beugt sich die Frau, nachdem sie in das Haus ihrer Männer gebracht worden ist, nieder, und jeder der Männer setzt ihr der Reihe nach erst den rechten und dann den linken Fuß auf den Kopf. Sie geht dann Wasser zum Kochen holen und tritt damit in ihre Rechte als Hausfrau ein. Wie bei einzelnen Kolhstämmen ist auch bei den Toda das Begräbnis außerordentlich kostspielig. Bald nach dem Tode findet die Verbrennung statt, wobei man einige Büffel schlachtet, damit es dem Toten im Jenseits nicht an Milch fehle. Diesem "grünen Begräbnis" folgt etwa ein Jahr später "das dürre Begräbnis", wozu alle verwandten Stämme eingeladen, 40-50 Büffel geschlachtet und nach Absingung von Klageliedern getanzt und geschmaust wird. Da durch diese Sitte der einzige Wohlstand des Volks, die Büffelherden, zu Grunde gerichtet wird, sind die Engländer dagegen eingeschritten, und es ist jetzt üblich, daß für mehrere Tote zusammen das Fest gefeiert wird, um mehr als die vorgeschriebenen zwei Büffel auf einmal schlachten zu können. Die Toda zerfallen in fünf Kasten. Aus den beiden ersten wird der Dorfpriester genommen, der sich durch bestimmte Ceremonien für sein Amt vorbereiten muß. Dieses Amt besteht darin, daß er die Büffelkühe zu pflegen und zu melken hat. Außer diesen Dorfpriestern giebt es unter den Toda noch drei Einsiedler, die in großem Ansehen stehen, weil man von ihnen glaubt, daß die Geister in ihnen wohnen. Sie fragt man daher in schwierigen Fällen um Rat. Der Fragende darf aber erst nach eingeholter Erlaubnis aus der Ferne mit ihnen sprechen, Frauen sich ihnen überhaupt nicht nähern. Sie müssen stets nackt gehen; selbst in der kalten Jahreszeit ist ihnen nur ein Lendentuch gestattet. Eine Herde heiliger Büffel dient lediglich zu ihrem Gebrauche. Sie tragen den charakteristischen Namen Palal, "Milchmann"; ihre Gehilfen heißen Kavilal, "Hirt". - In den Nilgiri sind von wilden Stämmen noch zu nennen die Kurumba, Kotar und Badagar. Unter ihnen sind die Badagar ein ackerbautreibendes, schon stark hinduisiertes Volk, das sich zum Çivadienst in sehr entarteter Gestalt bekennt. Die Kurumba stellen den Badagar die Priester. Die Kotar sind Handwerker, überaus schmutzig und verachtet. Sie verzehren selbst Aas und sind dem Opiumgenuß ergeben. Ihre Zahl wird auf 1201 angegeben, die der Kurumba auf 5288, die der Badagar auf 30656.

Unter den kultivierten Draviden stehen an Bildung und Intelligenz obenan die Tamulen. Sie wohnen an der Küste Koromandel von Palikat an bis zum Kap Komorin und an der Küste Malabar von Komorin bis Triwanderam, sowie in dem ganzen Hochlande dieses Gebietes. Tamulen sind auch die Kuli, die Arbeiterbevölkerung im nördl. und nordwestl. Ceylon und auf Mauritius und zum größten Teile auch die sog. Kalinga in den Seestädten Hinterindiens und im Malaiischen Archipel. Ihre Zahl beträgt in Indien 15229759. Über ihre Sprache und Litteratur s. Tamil (Bd. 15). Sie haben auch für das Sanskrit ein eigenes Alphabet ausgebildet, das Grantha genannt wird. An Zahl das größte dravidische Volk sind die nördlich von den Tamil sitzenden Telugu, 19885137. Ihr Gebiet reicht von Palikat bis Gandscham, wo Orissa beginnt. Im Norden stoßen sie an das Land der Marathen und Gond sowie Orissa, im Westen an das Gebiet der Kanaresen. Diese wohnen in Maisur und Kanara und erstrecken sich westlich bis an das Land der Marathen. Ihre Zahl ist 9751885. Telugu und Kanaresisch haben eigene Alphabete, die sich sehr ähnlich sehen. Das Telugualphabet wird viel auch in Sanskritwerken gebraucht; das altkanaresische Alphabet heißt Halakannada. Dem Altkanaresischen nahe, aber jetzt stark durch Tamil und Malajalam beeinflußt, steht das Kudagu oder Kurg. Die Kudagu, an Zahl 37218, bewohnen das Bergland zwischen Maisur im Osten und Nordmalabar und Südkanara im Westen. Die Kurg können fast noch zu den unkultivierten Stämmen gerechnet werden. Sie sind noch nicht brahmanisiert und haben auch keine eigentliche Litteratur; Polyandrie ist bei ihnen herrschend. An der Küste Malabar von Tschandragiri bei Mangalur im Norden bis Triwanderam im Süden sitzen die Malajalam, von allen Draviden die exklusivsten und borniertesten, so daß die gewandten Tamil fast allen Handel in den Händen haben und überall im Lande auch Tamil gesprochen wird. Ihre Zahl ist 5428250. Auch das Malajalam hat ein eigenes Alphabet. Nördlich von ihm ist das Gebiet des Tulu oder Tuluva, das kein eigenes Alphabet und auch keine eigene Litteratur hat. Die Baseler Mission hat das kanaresische Alphabet eingeführt. Tulu wird in einem schmalen Küstenstriche um Mangalur von 491728 Menschen gesprochen. Die Befürchtung, daß es dem Kanaresischen erliegen werde, ist kaum begründet, zumal die Tulu für das konservativste unter den dravidischen Völkern gelten. Mit der Kultur sind aus Nordindien auch sehr viele Sanskritworte in die kultivierten dravidischen Dialekte eingedrungen, am wenigsten ins Tamil, am meisten ins Malajalam. Die Sprachen haben sie aber ihrem Lautsystem so angepaßt, daß ihr sanskritischer Ursprung oft kaum noch zu erkennen ist.

Für Arier und Draviden charakteristisch ist die uralte gesellschaftliche Einteilung in Kasten (s. d., Bd. 10). Die Gesetzbücher der Brahmanen teilen das Volk in vier Kasten, die Priester (Brahmana), die Krieger, zu denen Fürsten und Adel gehören (Kshatrija), die Ackerbauer, Handwerker und Kaufleute (Vaiçja) und die dienende Kaste (Çūdra). An die Spitze werden die Priester gestellt, für die Vorrechte gefordert werden, die ihnen in Wirklichkeit nie in diesem Umfange gewährt worden sind, wenn sie auch als erste Kaste anerkannt wurden. Das Sanskritwort für Kaste ist