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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Röntgenstrahlen

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Röntgenstrahlen

Magneten nicht abgelenkt und von den verschiedensten Körpern leichter durchgelassen werden als jene. Indes beweist das noch nicht unbedingt eine Wesensverschiedenheit der beiden Strahlenarten. Schon Röntgen selbst fand, daß die X-Strahlen überall da zu entstehen scheinen, wo die Kathodenstrahlen auf einen dichten Körper ausfallen. So gehen also R. nicht nur von allen den Stellen der Röhrenwand aus, auf die man die Kathodenstrahlen hinlenkt, sondern auch z. B. von Platin- und Aluminiumblechen, auf die in der Röhre Kathodenstrahlen konzentriert werden, ebenso z. B. von dem phosphorescierenden Schirm einer sog. Pulujschen Lampe. Mehrfach hat man auch von gewöhnlichen Geißlerschen Röhren (mit geringerer Luftverdünnung) bei passender Erregung R. erhalten. (S. Elektrische Lichterscheinungen, Bd. 5.) In der Sonnenstrahlung konnten sie bisher nicht nachgewiesen werden. Kurz vor Röntgens Entdeckung hatte übrigens schon E. Wiedemann das Auftreten einer besondern Strahlenart bei elektrischen Entladungen nachgewiesen, die er Entladungsstrahlen benannte.

Ziemlich allgemein faßt man die R. als Wellen im Äther auf, streitet aber noch darüber, ob man es bei ihnen mit longitudinalen Wellen, die wie die Schallwellen in der Luft Schwingungen nur in Richtung der Fortpflanzung besitzen, zu thun hat, oder mit transversalen, d. h., wie beim Licht, mit Querschwingungen. Im letztern Falle müßten die R. durch passende Mittel polarisiert werden können wie das Licht, was aber bisher noch nicht sicher nachgewiesen ist. Mehrfach hat man sich bemüht, die den R. zuzuschreibende Wellenlänge experimentell zu ermitteln; man suchte die Erscheinungen der Beugung hervorzubringen und ließ deshalb die R. einen schmalen Spalt in undurchlässiger Platte durchsetzen: in dessen Bild fanden mehrere Beobachter Streifen, die als Beugungsstreifen gedeutet werden konnten; für die danach berechneten Wellenlängen schwanken indes die Angaben zwischen einigen Millionstel und einigen Tausendstel Millimeter. Jedenfalls scheint festzustehen, daß analog den verschiedenen Farben des Lichts verschiedene Arten R. existieren, die sich hinsichtlich ihrer Wellenlänge und sonstigen Eigenschaften quantitativ unterscheiden. Charakteristisch für die R. ist, daß sie beim Übergang aus einem Körper in einen andern keine irgend erhebliche Brechung erfahren, daß sie also alle Körper mit derselben, bisher gänzlich unbekannten Fortpflanzungsgeschwindigkeit durcheilen. Durch sorgfältige Versuche von Gouy ist wenigstens nachgewiesen worden, daß für eine Reihe von Stoffen der Brechungsexponent höchstens um einige Millionstel von der Einheit abweicht, während von andern Seiten etwas höhere Werte angegeben werden. Dies Fehlen der Brechung wird neben sonstigen Ähnlichkeiten wohl als Beweis für die Ansicht angeführt, daß die R. ultra-ultraviolettes Licht von äußerst kleiner Wellenlänge seien. Eine regelmäßige Reflexion ist kaum unzweideutig festgestellt, wohl aber eine diffuse, ähnlich der Reflexion des Lichts von weißem Papier; nur scheinen die R. dabei noch weitern Änderungen unterworfen zu sein (s. unten).

Was nun die Wirkungen der R. anlangt, so entladen sie elektrisierte Körper und ändern die Schlagweite von Entladungsfunken; doch scheint diese Wirkung eine indirekte, durch den umgebenden Isolator (z. B. die Luft) vermittelte zu sein. Von größter praktischer Bedeutung ist ihre chem. (photographische) Wirksamkeit, die es ermöglicht, die mittels R. erzeugten Schattenbilder zu fixieren.

Für die direkte Beobachtung brauchbarer ist aber diejenige Eigenschaft der R., der wir ihre Entdeckung verdanken, daß sie nämlich fluorescenzfähige Körper zum Leuchten bringen. Als solche Körper, die unter dem Einfluß der R. besonders lebhaft fluorescieren, sind zu nennen die Platincyanüre von Baryum, Kalium u. s. w., ferner Calciumwolframat (Scheelit), Uranylammoniumfluorid.

Man bestreicht mit dem gepulverten Stoff einen etwa mit Gummilösung angefeuchteten Karton oder schichtet ihn zwischen eine durchsichtige und eine undurchsichtige Platte. Um auch in hellen Räumen R. nachweisen zu können, benutzt man eine solche empfindliche Schicht als Boden einer kegel- oder cylinderförmigen Pappröhre, die mit ihrer Öffnung dicht ans Auge gehalten auf dieses nur das Fluorescenzlicht wirken läßt, das von den auf den Boden auffallenden R. erzeugt wird (Kryptoskop von Salvioni u. a.). Winkelmann und Straubel in Jena fanden, daß dem Flußspat die Eigenschaft zukommt, die R. umzuwandeln in andere unsichtbare Strahlen, die Papier und Stanniol nicht mehr zu durchdringen vermögen, eine Brechung erfahren und eine Wellenlänge von etwa 0,0003 mm besitzen, also augenscheinlich der chemisch wirksamen ultravioletten Strahlung angehören. Eine Schicht Flußspatpulver (der ungefähren Korngröße 0,3 mm), hinter die photogr. Platte gebracht, erhöht so deren Empfindlichkeit für R. ganz bedeutend. Ähnlich wirkt Zirkon und in schwächerm Maße andere Krystalle; doch hängt auch bei Flußspat die Wirkung sehr von dessen Natur (seinem Fundorte) und von der Art der ausfallenden R. ab. Im Zusammenhang hiermit mögen Erscheinungen erwähnt werden, die bei Versuchen von Ch. Henry aufgefunden und insbesondere von H. Becquerel näher studiert wurden: Fluorescierende Substanzen, insbesondere Salze des Urans und dieses selbst, vermögen auch ohne jede vorherige Einwirkung von Licht- und anderer Strahlung unsichtbare Strahlen auszusenden, die ähnlich den R. Metallplatten durchdringen, elektrisierte Körper entladen und chem. Wirkungen erzeugen, andererseits aber auch Unterschiede gegenüber den R. zeigen. Auf solche Strahlen sind wohl auch die eigentümlichen Erscheinungen zurückzuführen, die kurz nach Röntgens Entdeckung Le Bon mitteilte, der gefunden haben wollte, daß im Tageslicht und im Licht von Petroleumlampen Strahlen schwarzen Lichts enthalten seien, denen die ebenerwähnten Eigenschaften der Becquerelschen Strahlen zukommen.

Außer durch ihre zum Nachweis dienenden Wirkungen ist die praktische Bedeutung der R. begründet durch die ganz besondern Verhältnisse, die für ihren Durchgang durch die verschiedenen Körper gelten. Die Schwächung (Absorption), die sie dabei erfahren, ist im allgemeinen eine ganz andere als für Licht- und Wärmestrahlen. Eine Reihe Untersuchungen sind schon ausgeführt, um zu ermitteln, nach welchen Gesetzen die Absorption von der chem. Natur der durchstrahlten Körper abhängt. Es hat sich gezeigt, daß im allgemeinen das Absorptionsvermögen chem. Elemente etwa ihrem Atomgewicht parallel geht, und daß danach auch das der chem. Verbindungen sich schätzen läßt. So sind Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff auch in ihren Verbindungen gut durchlässig, viel weniger Schwe-