Schnellsuche:

Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Malerei des 16. Jahrhunderts

507 ^[Seitenzahl nicht im Original]

Die Malerei des 16. Jahrhunderts.

a. Italien.

Die Malkunst des Cinquecento. In der Abhandlung über die Malerei des 14. und 15. Jahrhunderts wurde ausgeführt, wie an den verschiedenen Kunststätten - Florenz, Perugia, Venedig u. a. O. - die Farbenkunst aus der anfänglichen Gebundenheit zur Freiheit sich entwickelt, durch sorgfältiges Studium der Natur einerseits, der Antike andererseits den Begriff der "Schönheit" gewonnen, und als ihr Endziel das rein Malerische erkannt hatte. In der Malweise und in der Beherrschung der Ausdrucksmittel war man so weit gelangt, daß eine Steigerung der bloßen Fertigkeit nur in beschränktem Maße mehr möglich erschien.

Ghirlandajo, Perugino, Bellini hatten erreicht, was überhaupt unter den Verhältnissen, in welchen sie wirkten, zu erzielen war, ihre Kunstweise stand in besonderen Einzelheiten auf einer Höhe, welcher zur "Vollendung" nur wenig mehr fehlte. Es konnte nichts anderes mehr geschehen: als zusammenfassen, was die Einzelnen errungen hatten, und die letzten Reste von Befangenheit in örtlichen oder überlieferten Anschauungen abzustreifen, um in vollster Freiheit das Schönheits-Urbild und die Kraft zu gewinnen, dasselbe mit ausschließlich malerischen Mitteln zur Erscheinung zu bringen. Ein solches "Vereinigen" konnte nicht innerhalb örtlicher Schulen stattfinden, dazu waren nur künstlerische Persönlichkeiten mit einem allumfassenden Geist und mit vollendeter Kunstfertigkeit befähigt.

Wenn man die Werke der großen Meister des Cinquecento zergliedert, so dürfte man mit einiger Ueberraschung entdecken, daß in den einzelnen Grundzügen kaum ein erheblicher Fortschritt zu sehen ist, und diese sich bereits bei den Vorgängern finden. Was diese Großen auszeichnet und erhebt, ist darin zu suchen, daß sie aus dem Geiste ihrer eigenen Persönlichkeit heraus diese Grundzüge in ihren Schöpfungen verwerteten und zwar mit edlem Maßhalten und geläutertem Schönheitsgefühl. Das "Genie" einzelner Künstler giebt der Malerei des 16. Jahrhunderts ihr Gepräge und bestimmt ihre Bedeutung. Nicht mehr von Schulen, Gruppen und Richtungen hat man zu sprechen, sondern von Persönlichkeiten, die vom Boden der Heimat unabhängig auf einem selbstgeschaffenen "idealen" stehen.

Es ist dies auch nicht der Boden eines einzelnen Kunstzweiges, sondern jener der Kunst überhaupt, denn diese Meister beherrschen eben alle Zweige, sind Baumeister, Bildner und Maler. Noch mehr: - und das macht die Größe ihrer Kunst verständlich - ihr Geist erschöpft auch den ganzen Gehalt ihrer Zeit; sie sind von demselben völlig durchdrungen und erfüllt. Dies war weder vorher noch nachher - oder sagen wir deutlicher heutzutage - in gleichem Maße möglich. Vorher nicht, denn es war schwer, sich eine wirklich "allgemeine Bildung" anzueignen, da Mittel und Gelegenheit dazu beschränkt waren, und durch die Abhängigkeit von heimatlichen Anschauungen, religiösen und philosophischen Richtungen, eine gewisse Einseitigkeit bedingt war. Heutzutage aber ist kein einzelner mehr im stande, alle Erkenntnisgebiete zu beherrschen. Um die Wende des 15. Jahrhunderts hatte aber ein Austausch der geistigen Güter der gebildeten Welt stattgefunden und in erster Linie war es Italien, welches dieselben zu einem Bildungsschatze anhäufte.