Schnellsuche:

Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Malerei des 16. Jahrhunderts

520

Die Malerei des 16. Jahrhunderts.

seiner Erkenntnis darbot, in seinem Geiste verarbeitete, so daß aus der Vielheit solcher Grundzüge ein einheitlich Neues entstand. Raphael ist die empfängliche, aufnehmende Künstlernatur, welche, von dem Zeitgeist befruchtet, in ihren Schöpfungen dessen Abbilder wiedergiebt.

Raphael, Sohn des Malers Giovanni Santi, geboren 1483 zu Urbino in Umbrien, kam 1495 zu Perugino in die Lehre und lebte sich rasch in dessen Kunstweise ein, so daß er bereits mit 17 Jahren von dem Meister zur Mitarbeiterschaft herangezogen wurde und verschiedene Altarbilder nach Peruginos Entwürfen auszuführen bekam. In diesen ziemlich zahlreich vorhandenen Jugendwerken bekundet Raphael einerseits die große Schmiegsamkeit seiner Natur, welche in die Eigenheiten des Meisters eindringt, andererseits aber auch bereits seine künstlerische Ueberlegenheit in jeder Hinsicht. Er ist gehaltvoller und vollendeter in der Form; den Vorwurf seiner Werke faßt er gründlicher auf, schildert die Vorgänge lebhafter und verleiht seinen Gestalten mehr Eigenart, als es bei Perugino der Fall ist. In der "Vermählung" aus dem Jahre 1504, welche eine Wiederholung des gleichnamigen Bildes Peruginos ist, läßt sich dieser Fortschritt des Schülers trefflich erkennen (Fig. 519).

Bald darauf kam Raphael nach Florenz und wurde nun auch mit dessen Kunstrichtung vertraut. Nicht nur Ghirlandajo regte ihn durch seine Werke lebhaft an, sondern auch Lionardo übte einen bestimmenden Einfluß auf den empfänglichen Geist des jungen Künstlers und in Fra Bartolomeo fand er einen Gleichstrebenden, der viel Verwandtes mit ihm hatte. Unter den lebhaften Eindrücken des regen Florentiner Kunstlebens befreite sich Raphael vollständig aus dem Banne seines umbrischen Lehrers, und die nunmehr erlangte Selbständigkeit tritt in der langen Reihe von Madonnenbildern zu Tage, welche innerhalb drei Jahren (1505-1508) entstanden. Wenn man bei einigen von Lionardos besonderem Einfluß spricht, so ist dies nur in dem Sinne zu verstehen, daß dessen geistvolle Anregungen Raphael darauf hinwiesen, all' seine große Begabung auf die Erzielung des höchsten malerischen Reizes zu verwenden. Das Urbild der Schönheit zu erreichen, stellt sich jetzt der zum unabhängigen Meister Gewordene als Lebensaufgabe, in deren Dienst er alle Kraft verwendet. Seine eifrigen Studien nach der Natur ergänzt er durch

^[Abb.: Fig. 520. Raphael: Madonna del Granduca.

Florenz, Palazzo Pitti.]