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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts

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Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts.

Dort, wo der Künstler frei seinen eigenen Anschauungen folgen kann, tritt die französische Eigenart vollständig zu Tage, wie in der Kirche St. Gervais, die ebenfalls Debrosse erbaute. Die kühle Verständigkeit waltet hier, welche auf die Gesetzmäßigkeit in den Einzelheiten, auf Klarheit und Richtigkeit der Formen achtet; nicht nach dem künstlerischen Gefühl, sondern nach Regeln bildet.

Lemercier. Diese verstandesmäßige Richtung finden wir auch bei Jaques Lemercier (1585-1654), der in Italien die dortigen Kunstverhältnisse und die Antike studiert hatte, jedoch nicht um den geltenden Stil nachzuahmen, sondern um die Grundlagen - die Gesetze - zu finden, auf denen er sich entwickelt hatte. Lemercier benutzt zwar verschiedene Grundzüge der italienischen Vorbilder, übernimmt auch Einzelheiten, die ihm gut erscheinen, aber führt sie doch in französischer Eigenart aus. So ist die Hälfte des Seitenflügels im Louvre, den er baute, wohl in der Art römischer Paläste gehalten, aber in den Pavillonbauten, in der zierlichen Durchbildung des Schmuckwerkes kommt der französische Geist zum Ausdruck. Die am meisten bemerkenswerte That Lemerciers ist die Einführung der Kuppel in die französische Baukunst, indem er die große Kirche der Sorbonne mit einer solchen ausstattete. Diese stellt zugleich eine eigenartige Verbindung von Centralbau und Langhausanlage dar. Der Mittelteil ist in der Form des gleicharmigen griechischen Kreuzes angelegt und bildet gewissermaßen eine Vierung, über welche sich die Kuppel erhebt. Diesem Mittelbau sind auf zwei Seiten Flügel mit Tonnengewölben vorgelegt, deren einer den halbkreisförmigen Chor enthält; diese Flügel haben rechts und links anstatt der Seitenschiffe niedriger gehaltene Kapellenanbauten, so daß der ganze Grundriß ein vollkommenes längliches Viereck aufweist. Auf den Grundgedanken des Kuppelbaues war Lemercier nicht eingegangen; für ihn ist die Kuppel nur ein wirksames Schmuckstück, und mit verständiger Ueberlegung sucht er sie so einzugliedern, daß sie der französischen Bauweise entspricht. Die "Ordnungsliebe" des Franzosen spricht sich auch darin aus, daß er alle Seiten gleichmäßig künstlerisch ausstattet und sich nicht, wie die Italiener, damit begnügt, die Hauptschauseite wirkungsvoll zu gestalten und dieser alles andere unterzuordnen.

Zur Ausschmückung der Festgalerie des Luxembourg-Palastes hatte Maria von Medici den Großmeister der damaligen Malkunst, Peter Paul Rubens, berufen, und dieser vermittelte begreiflicherweise auch der Baukunst niederländische Anschauungen, die zwar nicht unbeachtet blieben, aber ebenso wenig zur durchgreifenden Geltung kamen, als jene der Baumeister des Jesuitenordens, welche dessen Stil einzubürgern suchten.

Weltlichkeit der französischen Baukunst. So sehr auch der leitende Staatsmann, Kardinal Richelieu, den Katholizismus begünstigte, so hielt er doch daran fest, daß die volkliche Eigenart bewahrt bleibe, wie in allen Dingen, so auch in der Kunst. Die allgemeine Wandlung, die sich auf deren Gebiete vollzog, sollte zwar mitgemacht werden, aber auf dem Boden der heimischen Kunstweise. Wie man die Sprache zu vervollkommnen und zur "klassischen" Ausbildung zu bringen suchte, zu welchem Zwecke die Akademie gegründet wurde (1635), so sollte auch die französische Kunst "klassisch" werden, indem man auf der Grundlage der Antike sie in eigener volklicher Auffassung fortbildete. Zu einem solchen selbstbewußten Vorgehen konnte man sich um so mehr berechtigt fühlen, als ja die bisherige europäische Vormacht, Spanien, aus ihrer Stellung verdrängt worden war und Frankreich in allen staatlichen Fragen den Ton angab. Entsprechend dieser Führerrolle in weltlichen Dingen erscheint daher auch die französische Kunst in erster Linie weltlich; für das Bauwesen sind nicht Kirchen maßgebend, sondern die Entwicklung des Stiles vollzieht sich an den Palästen des Königs, den Schlössern und "Hotels" des Hochadels und der vornehmen Bürgerschaft.

Hotels und Schlösser. Diese "Hotels", die Stadthäuser der Großen, die nunmehr im Schatten des Hofes zu weilen genötigt waren, sind ungemein bezeichnend für die Eigenart der französischen Bauweise. Der Unterschied zwischen dem "Hotel" und dem italienischen "Palazzo" ist ebenso gründlich, wie tief begründet; seine Ursache liegt in der Forderung der "Zweckmäßigkeit", welche zu vergessen gerade der französische Kunstgeist