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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Das 19. Jahrhundert

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Das 19. Jahrhundert.

Klassizismus konnte nur zwischen zwei Abgründen seinen Weg nehmen: entweder mußte er den neuzeitlichen Inhalt der antiken Form anpassen, das hieß aber die Wahrheit wenigstens teilweise opfern, oder er reichte mit der Formensprache nicht aus und wurde daher unzulänglich im Ausdruck, also auch wieder nicht genügend wahr. Daß man dies wohl fühlte, zeigt sich eben darin, daß man doch auch die Natur zur Ergänzung und Berichtigung heranzog.

In der Schilderung der früheren Zeiträume wurde ausgeführt, wie der Kampf zwischen dem "Naturalismus" und der "Antike" sich immer wiederholte; er war stets das Vorspiel einer wirklichen Erneuerung der Kunst. Diese stand auf einem Höhenpunkte, sobald der Kunstgeist der Zeit seinen ureigenen Ausdruck für die Auffassung der Natur, für die Wiedergabe der Gedanken und Empfindungen des jeweiligen Geschlechtes gefunden hatte; erlahmte derselbe, dann vermochte er auch mit der Form nicht mehr dem Gehalte zu entsprechen, es trat das ein, was man "Verflachung" und "Manier" zu nennen pflegt: die Anwendung herkömmlicher Ausdrucksmittel ohne innerliche Anteilnahme an dem Stoffe. Die Rückkehr aus einer solchen Versumpfung erfolgte jedoch stets auf dem Wege der "Antike", diese war die Krücke, mit deren Hilfe man wieder gehen lernte, und darin liegt auch deren große geschichtliche Bedeutung. Die "reinen Naturalisten", welche den Kampf aufnehmen wollten, hatten zu Beginn solcher Wandlungen keinen Erfolg, sie konnten erst zum Siege gelangen, wenn die Klassizisten ihnen vorher die Bresche gebrochen hatten.

Dieser Vorgang wiederholte sich auch jetzt. Die Barockkunst hatte sich erschöpft oder richtiger gesagt, sie war unzeitgemäß geworden; die schwachen Künstler waren in "Manier" verfallen und daher außer stande, mit den überlieferten Ausdrucksmitteln dem neuen Zeitgeiste gerecht zu werden, der den Geschmack an der Ueppigkeit und Ueberschwänglichkeit der Formen verloren und nach Einfachheit sich zu sehnen begonnen hatte.

Schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts begegnen wir jenen geistigen Regungen, welche das sogenannte "Zeitalter der Aufklärung" kennzeichnen. Die Macht der Kirche über die Geister sank, und die Philosophie, welche die "reine Vernunft" an Stelle der Religion zu setzen suchte, gewann einen Einfluß, wie sie ihn vorher nie besessen hatte. Der Jesuitenorden, die zuverlässigste und mächtigste Garde des Papsttums, wurde 1773 vom Papste selbst aufgehoben. Die französischen Philosophen hatten den Grundsatz entwickelt, daß die Seele nur ein Teil des Körpers, der Mensch also ein durchwegs leibliches Wesen sei; der Engländer Hume erklärte, das Christentum sei nur durch Vernichtung aller Vernunftgrundsätze annehmbar, und auch Kant wollte die religiösen Lehren aus dem menschlichen Wesen heraus entwickeln. Die unumschränkten Herrscher nahmen gewaltige Umwälzungen im staatlichen Leben vor und entwickelten fortschrittliche Gedanken, welche ganz neuzeitlich anmuten: der "Staat" sollte alles, Weltliches und Geistliches, beherrschen und im Staate das "Volk" alles gelten, allerdings nicht frei und selbständig, sondern bevormundet von dem fürsorglichen Fürsten. Jetzt erst wurden die Bollwerke der mittelalterlichen Weltanschauung und Staatsordnung gründlich zerstört. Da im schärfsten Gegensatz zu diesem Mittelalterlichen das Antike stand, so kam dieses umsomehr zu Ehren, in den römischen Einrichtungen und Sitten sah man wieder Mustergültiges und Vorbildliches. Hatten die unumschränkten Herrscher die römischen Imperatoren (Kaiser) zu Vorbildern genommen, so wurde für die französischen Revolutionsmänner die antike "Republik" das "Ideal", man äffte bis zur Lächerlichkeit antikes Wesen nach, und die Pariserinnen kleideten sich in "griechische" Gewänder. Ich habe hier nur wenige Züge hervorgehoben, immerhin lassen sie erkennen, daß sie mit dem "klassischen" Zug in der Kunst übereinstimmen. Man ersieht aber auch, daß die Gestaltung der Dinge in der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts viel Verwandtes mit jener zur Zeit der Renaissance hat.

Die Romantiker. Schon vor dem Zusammenbruch des französischen Weltkaisertums hatte der Zeitgeist sich gewaltig verändert; die Schwärmerei für die antike Gesellschaftsordnung, für das Weltbürgertum und die blos verstandesmäßige Auffassung aller Dinge des Zeitalters der "Aufklärung" verschwand allmählich. Napoleons Gewaltherrschaft hatte