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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Das 19. Jahrhundert

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Das 19. Jahrhundert.

das Erwachen des volklichen Bewußtseins allenthalben, insbesondere auch bei den Deutschen herbeigeführt, man erinnerte sich wieder der glänzenden Vergangenheit der eigenen Heimat; das Gemüt und damit auch das Religiöse traten wieder bestimmend hervor. Auf allen geistigen Gebieten zeigt sich diese Wandlung. Beethovens vertiefte Innerlichkeit, welche die höchsten Gedanken und die zartesten Empfindungen der Seele mit sinnigem Ernst erfaßt, steht in scharfem Gegensatz zu der leichten, gefälligen Heiterkeit Mozarts, welche das Sinnliche verklärt. Die Dichtkunst wendet sich an das Vaterlandsgefühl und die in der Volksseele schlummernden Empfindungen, sucht die Stimmungen des Gemütes, die Träume der Einbildungskraft zum Ausdrucke zu bringen, sie wollte, um mit Schlegel zu sprechen, den "gottverlassenen Vernunftkultus wieder in den Tempel der wahren gotterfüllten Gemütsandacht zurückführen". Dem volksfremden römisch-griechischen Altertum stellte man das deutsche Mittelalter, dem antiken Heidnischen das Christentum gegenüber; aus den luftigen Höhen gedanklicher Vorstellung eines allgemeinen "idealen" Menschentums stieg man wieder zu dem Volke herab, in dessen Leben man das wahrhaft Dichterische suchte. Man bezeichnet diese geistige Richtung mit dem Worte "romantisch", weil sie das Unsinnliche, das im Gefühl, in der Einbildungskraft Lebende, über das Sinnliche, den Glauben über die vernunftmäßige Erkenntnis stellte, im Märchenhaften und Wunderbaren schwelgte. Im Grunde genommen wurzelte sie aber weit mehr in der Wirklichkeit als die "klassische" Auffassung, die ihre Welt aus Vorstellungen künstlich aufbaute, während die Romantiker die ihre auf die thatsächlich vorhandenen Regungen des Volksgemüts gründeten. Darum vermochte sie auch volkstümlich zu werden und weitere Kreise als blos jene der Hochgebildeten für das Dichterische empfänglich zu machen. Man schelte und schmähe die "Romantiker" nicht, weil auch bei ihnen Verirrungen und Auswüchse sich finden; sie haben sich um das deutsche Volk große Verdienste erworben, indem sie das volkliche Bewußtsein und die Gefühlsseiten des deutschen Wesens pflegten. Wenn man der Richtung vorwirft, daß sie die Thatkraft einlullte und einseitig nur die Empfindung berücksichtigte, die Geister in traumhafte Unklarheit versenkte, so darf man nicht vergessen, daß die Zeitverhältnisse nach Beendigung der Franzosenkriege einer Bethätigung von Thatkraft und Kritik nicht günstig waren, wohl aber durch die Pflege der Erinnerungen an die Vergangenheit allmählich jene Zeit vorbereitet werden konnte, in der das Volk auch wieder seiner alten "Stärke und Kraft" bewußt wurde.

Für die Kunst, insbesondere aber für die Malerei, mußte eine solche geistige Richtung ungemein förderlich sein, deren bezeichnende Grundzüge ja mit den Voraussetzungen für das künstlerische Schaffen zusammenstimmten; insbesondere aber war sie geeignet, der deutschen Eigenart wieder zum völligen Durchbruch zu verhelfen. Mit dem Auftreten der "Romantiker" begann auch eine "Renaissance": die "Wiedererweckung der germanischen Kunst" zum neuen Leben; sie haben derselben die Bahn eröffnet, auf welcher sie zur glänzenden Höhe der Vorherrschaft emporschreiten konnte.

Der Naturalismus. Beide Richtungen, die "klassizistische" und die "romantische", bestanden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nebeneinander; keine konnte die andere gänzlich verdrängen. Die erstere behauptete jedoch ihre Vorherrschaft bis ungefähr 1820, während die Blütezeit der letzteren in die Jahre 1830-50 fällt. Während derselben bereitete sich aber bereits der Umschwung vor, der zur wirklich "modernen" Kunstauffassung führte, und zwar auf dem Wege des sogenannten "Naturalismus". Es fehlte nicht an Künstlern, welche die Anlehnung an Vorbilder, sei es nun solche der Antike oder des Mittelalters, für überflüssig erachteten und anstatt aus künstlerischen, richtiger gesagt: aus kunstgeschichtlichen Ueberlieferungen, aus der Natur und dem Leben selbst, kurz aus der Wirklichkeit die ihre Kunstweise bestimmenden Grundsätze schöpfen wollten. Immer nachdrücklicher wurde auf selbständige Beobachtung und genaues Studium der Natur Gewicht gelegt; das Streben, sich aus dem Banne des Herkömmlichen und von den Regeln der Schulen zu befreien, trat in immer weiteren Kreisen hervor. Auch die äußeren Verhältnisse gestalten sich günstig für die bildenden Künste; hochsinnige Fürsten, wie König Ludwig I.