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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Angelsächsische Sprache und Litteratur

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Angelsächsische Sprache und Litteratur.

lieferte Thorpe (3. Aufl., Lond. 1879). Indessen hat auch auf diesem Gebiet zuerst J. Grimm die Forschung in eine wissenschaftliche Bahn gelenkt. Im Anschluß an ihn wurde die angelsächsische Grammatik behandelt von Heyne in seiner "Laut- und Flexionslehre der altgermanischen Sprachstämme" (3. Aufl., Paderb. 1880), von Koch ("Englische Grammatik", Götting. 1863 ff.), Mätzner ("Englische Grammatik", 3. Aufl., Berl. 1880 ff.), Marsh ("Comparative grammar of the Anglo-Saxon", New York 1870), Grein ("Angelsächsische Grammatik", Kass. 1880), Th. Müller ("Angelsächsische Grammatik", Götting. 1883). Dem Selbststudium dient Körners "Angelsächsische Flexionslehre" (Heilbr. 1878). Lexika gaben heraus Grein ("Angelsächsischer Sprachschatz", Götting. 1861-64, nur für die Dichter; danach Greins "Kleines angelsächsisches Wörterbuch", bearbeitet von Groschopp, Kass. 1883); Bosworth ("Anglo-Saxon dictionary", neu bearbeitet von Toller, Oxf. 1882); Wright ("Anglo-Saxon and Old English vocabularies", 2. Aufl. von Wülcker, Lond. 1884). Leos "Glossar" (Halle 1872 ff.) ist unbrauchbar, besser noch Ettmüllers "Lexicon anglo-saxonicum" (Quedlinb. 1851).

Unter den zahlreich auf uns gekommenen, zum Teil noch ungedruckten Resten der angelsächsischen Litteratur stehen die Denkmäler der Poesie obenan; sie sind gesammelt von Grein in "Bibliothek der angelsächsischen Poesie" (Kass. 1857-58, 2 Bde.; 2. Aufl. 1883 ff.). Diese poetischen Denkmäler haben neben ihrem unschätzbaren sprachlichen und kulturhistorischen einen nicht unbedeutenden ästhetischen Wert. Ihre metrische Form ist die auch bei den übrigen ältern deutschen Dialekten übliche: zwei Halbverse einer wenigstens aus vier Hebungen bestehenden Langzeile sind durch die Allitteration gebunden. Auf den Stil bezügliche Eigentümlichkeiten der angelsächsischen Poesie sind: häufige Ersetzung des Pronomens durch verschiedene Substantiva; die zu einem Wort gehörige Apposition ist von diesem durch andre Satzglieder getrennt; Vorwegnahme des Pronomens und eine oft erst viel später folgende Verdeutlichung desselben durch das betreffende Substantivum; anstatt des epischen Nacheinander sprungweise, Zusammengehöriges trennende Darstellung; sinnliche Umschreibungen (z. B. statt "gehen wir": "macht euch auf, vorwärts zu tragen Waffen und Gewand"); glänzende Schilderungen bei fast gänzlichem Mangel an Gleichnissen. Innigkeit des Gefühls und Weichheit der Empfindung bekunden sich überall, selbst in dem Volksepos, wenigstens in seiner überlieferten Gestalt, eine Erscheinung, die wohl hauptsächlich dem Einfluß des Christentums zuzuschreiben ist. Unter den epischen Dichtungen, die Stoffe aus der Volkssage behandeln, ist weitaus die wichtigste der "Beowulf" (s. d.); mit einer Episode in demselben steht in Zusammenhang das Fragment "Der Überfall in Finsburg". Erhalten sind ferner noch zwei erst 1860 von G. Stephens aufgefundene Bruchstücke eines Epos, welches die Sage von Walter und Hildegunde behandelt: "Finsburg und Waldere" (abgedruckt in Greins Separatausgabe des "Beowulf", 1867), und das sogen. "Wîdsîthlied" (Lied des Vielgereisten), "gleichsam ein versifizierter Katalog der deutschen Heldensage". Hier seien angereiht ein mehr lyrisch gehaltenes Siegeslied auf die Schlacht von Brunanburg (938) und ein längeres Bruchstück eines Gedichts auf den Tod des Aldermans Byrhtnoth, der 991 im Kampf gegen die Dänen fiel. Es gibt mit der epischen Ausführlichkeit des "Beowulf" eine lebendige Schilderung des Kampfes und bietet ein schönes Beispiel dar für jenes von Tacitus hervorgehobene Verhältnis gegenseitiger Treue und Ergebenheit, wie es bei den alten Deutschen zwischen Fürst und Gefolge bestand. Epen mit Stoffen aus der Bibel oder Legende in freier Behandlung und vollständig deutscher Auffassung der geschilderten Personen und Zustände sind zunächst die früher dem Kädmon (Ceadmon) zugeschriebenen alttestamentlichen Dichtungen: "Genesis, Exodus und Daniel", ferner "Judith", mit nicht geringen dichterischen Vorzügen. Nur von drei größern Dichtungen geistlichen Inhalts, dem "Crist", der "Elene" und der "Juliane", kennen wir mit Bestimmtheit den Namen des Verfassers: Kynewulf, der wahrscheinlich im 8. Jahrh. im Norden Englands lebte und dem geistlichen Stand angehörte. Der "Crist", mit mehr lyrisch-didaktischem Charakter, hat die dreifache Ankunft Christi, die "Elene" die Bekehrung Konstantins und die Auffindung des heiligen Kreuzes in teilweise sehr lebendiger Schilderung zum Gegenstand. Ebenso wird auch die Bearbeitung der Legenden von "Andreas", "Guthlac" u. a. dem Kynewulf beigelegt. Mehr lyrischer Natur ist die Bearbeitung der Sage von dem Vogel Phönix, in anmutiger Sprache und mit herrlichen Naturschilderungen. Unter den lyrischen Stücken sind die vorzüglichsten: die nur verstümmelt überlieferte Klage über eine Burgruine und deren gefallene Bewohner; der "Wanderer", der, seit dem Tod seines Herrn ohne bleibende Stätte, über die Mühseligkeiten des menschlichen Lebens jammert; die "Klage der Frau", die, von den Verwandten ihres Mannes verleumdet und daraufhin von dem letztern verstoßen, ihr Leben einsam in einer Waldeshöhle vertrauert; der "Seefahrer", den trotz aller Beschwerden seines Standes die Sehnsucht nach dem Meer hinwegtreibt von allen Freuden des Landes, sobald die Natur sich verjüngt und der Kuckuck des Frühlings Ankunft verkündet. Didaktischer Natur ist unter andern das "Runenlied", das die Namen eines jeden dabeistehenden Runenzeichens poetisch beschreibt. Anziehend durch den Reiz der Sprache, treffliche Schilderungen und dichterische Belebung der Natur, dabei von Wichtigkeit für die Kenntnis des alten deutschen Lebens sind die "Rätsel" des Kynewulf. Als einziges Beispiel weltlicher Unterhaltungsprosa sei hier die Übersetzung der Geschichte des "Apollonius von Tyrus" aus dem Lateinischen erwähnt. Alle genannten poetischen Stücke sind allitterierend übersetzt von Grein ("Dichtungen der Angelsachsen", Kass. 1858-59).

Unter den Schriftdenkmälern in Prosa sind die ältesten und neben der gleich zu nennenden Chronik wichtigsten die Gesetze von dem kentischen König Äthelbyrht (560-616) an bis auf die in angelsächsischer Sprache publizierten Knuts. Die ältesten Gesetzsammlungen bis auf König Alfred sind jedoch der Sprache nach nicht in ihrer ursprünglichen Form, sondern in einer spätern Rezension erhalten (Ausgaben unter andern von Thorpe, "Laws and institutes of the Anglo-Saxon kings", Lond. 1840, und Schmid, "Gesetze der Angelsachsen", 2. Aufl., Leipz. 1858, mit Übersetzung und Glossar). Die seit der Mitte des 8. Jahrh. in angelsächsischer Sprache reichlich vorhandenen Urkunden sind nebst den lateinischen gesammelt in Kembles "Codex diplomaticus" (1838 ff., 6 Bde.) und in Thorpes "Diplomatarium anglicanum" (1865). Die angelsächsische Chronik reicht von der Invasion Cäsars bis auf 1154; die Einträge der Zeit vor Alfred sind jedoch zumeist erst unter dessen Regierung zugefügt (beste Ausgabe mit Übersetzung von Thorpe, 1861, 2 Bde.; die von