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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Austern

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Austern (Vorkommen, Fang, Pflege und Zucht).

bei der Ebbe trocken liegen, gewinnt man sie mit der Hand, sonst mit dem Austernrechen, welcher mit einem Beutel zur Ausnahme der A. versehen ist, oder mit dem Scharrnetz, dessen schwerer eisener Rahmen mit einer gezahnten Kante am Boden hinschleppt. Daß sie schon vor Jahrtausenden ein wichtiges Nahrungsmittel der Küstenvölker gewesen sind, beweisen die sogen. Küchenabfälle, welche in ungeheuern Anhäufungen längs der Ostküste Jütlands an den dänischem Inseln sich finden. In Italien legte der Prokonsul Sergius Orata etwa ein Jahrhundert vor Christo die ersten Austernbassins in der Bai von Bajä an; Plinius beschreibt die Mästung in dem Lukrinischen Teich; Eduard III. verbot 1375, Austernbrut zu jeder andern Zeit zu sammeln und zu versetzen als im Mai. Die Austernpflege ist also jedenfalls sehr alt und scheint nie ganz außer Gebrauch gekommen zu sein. Der klassische Ort für sie ist gegenwärtig Whitstable, wo eine Gilde, die schon seit 600-700 Jahren bestehen soll, etwa 10,000 Hektar Meeresboden bewirtschaftet. Man bezieht die A. von natürlichen Bänken u. legt sie auf die wohlvorbereiteten Austerngründe, um sie wohlschmeckender zu machen. Die berühmten kleinschaligen "Natives" werden im Sommer als junge, 2,5-4 cm große A. hauptsächlich von den natürlichen Bänken im Themsebusen geholt. Das Fischen der Marktaustern dauert gewöhnlich vom August bis Mai. Junge Brut, welche sich oft gedrängt an alte Schalen od. dgl. ansetzt, wird im zweiten Lebensjahr abgelöst und an derselben Stelle wieder ins Meer geworfen, so daß sich nun jedes Tier vollkommen frei ausbilden kann. Die Austernparke in Ostende, etwa 2 m tiefe Teiche, stehen durch Schleusen mit dem Meer in Verbindung. Die Wände sind mit Mauerwerk oder Holz bekleidet, der Boden ist mit Brettern bedeckt, und jede Anlage hat ein Klärbassin, in welchem das Wasser seine Schlammteile absetzen muß. Die Reservoirs bei Husum sind ebenso eingerichtet wie die Ostender Marennes an der Mündung der Seudre und noch mehr das gegenüberliegende La Tremblade liefern aus ihren Teichen (Claires) die vorzüglichsten französischen A. Die einzelnen Teiche sind 2-3000 qm groß, das Wasser steht in ihnen 0,3-0,5 m hoch. Man bringt die besonders an den Küsten der Bretagne gefischten jungen A. im Herbst in die Claires, in welchen sie die größte Vollkommenheit nicht vor 3-4 Jahren erreichen. Eigentümlich ist die grüne Färbung, welche die A. in den Claires annehmen, und die ihren Sitz im Mantel, den Kiemen, dem Darm und der Leber hat, indessen auf den Geschmack keinen Einfluß ausübt, obwohl die grünen A. besonders geschätzt sind. Im J. 1876 waren in den Mästungsteichen etwa 80 Mill. A.

Bei der künstlichen Austernzucht handelt es sich darum, der jungen Brut, von welcher sonst der größte Teil zu Grunde geht, geeignete Vorrichtungen darzubieten, auf welchen sie sich anheften und vor störenden Einwirkungen geschützt werden kann. In dem kleinen Salzwassersee Lago di Fusaro bei Neapel hat man Faschinen an Tauen zwischen Pfählen aufgehängt u. auch stets einen reichen Ansatz von jungen A. erzielt, welchen die auf Steinhügel im See gelegten Mutteraustern liefern. Dieselbe Methode wurde 1858 mit großartigen Mitteln bei St.-Brieux an der Nordküste der Bretagne, wo in frühern Zeiten lebhafter Austernfang bestanden hatte, zur Ausführung gebracht. Nach sechs Monaten waren die Faschinen und die leeren Muschelschalen, mit welchen man den Boden bedeckt hatte, in wunderbarer Fülle mit A. besetzt. Indessen schon 1869 hatte dieser Segen durch Versandung der Bucht ein Ende genommen, und ähnlich ist es an manchen andern Orten, an denen gleichfalls die natürlichen Bedingungen zur Aufzucht nicht gegeben sind, ergangen. Indem man sich aber mehr an die letztern hielt, setzte man noch einer andern Methode aus flachen, bei starker Ebbe trocknen Gründen Ziegel, Steine, Faschinen und Bretter mit Muschelschalen etc. aus, um die schwärmende Brut aufzufangen, welche das Wasser

^[Abb.: Kärtchen der Austernbänke bei Schleswig.]