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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Baden

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Baden (Geschichte: 1852-1859).

ihre Macht über die Gemüter in den Stürmen der letzten Jahre mit großem Geschick zu vermehren gewußt hatte, in B. den Versuch zur Aufrichtung eines hierarchischen Regiments zu wagen. Die Schwäche der Regierung, die Zerrüttung aller Verhältnisse durch die Revolution, die allgemeine Entmutigung und Unzufriedenheit schienen das Unternehmen der Ultramontanen zu unterstützen, zumal das Haupt der badischen Kirche, Erzbischof Vicari von Freiburg, durch sein ehrwürdiges Alter ein besonders geeignetes Werkzeug im Kampf gegen den Staat zu werden versprach.

Der kirchliche Streit brach nach dem Tode des Großherzogs Leopold aus, der 24. April 1852 starb. Ihm folgte, da der Erbgroßherzog Ludwig (gest. 22. Jan. 1858) regierungsunfähig war, sein zweiter Sohn, Prinz Friedrich, zunächst als Regent, seit 1856 als Großherzog. Die Regierung verlangte für den 10. Mai von der Geistlichkeit beider Konfessionen eine Totenfeier für den verstorbenen Großherzog, wie sie bei den frühern Landesfürsten stattgefunden hatte. Der Erzbischof ordnete aber an, daß nur am Abend vorher ein Abendgottesdienst ohne Gesang abgehalten werden dürfe, und legte allen Priestern, welche dem Befehl der Regierung Folge geleistet hatten, Bußübungen in St. Peter im Schwarzwald auf. Die Regierung ließ sich dies nicht nur gefallen, sondern gewährte auch auf eine Vorstellung der fünf Bischöfe der oberrheinischen Kirchenprovinz, in welcher sich diese über die die Kirche beeinträchtigenden Gesetze des Staats beschwert und die Abschaffung des ganzen bisher herrschenden Systems gefordert hatten, 1. März 1853 der katholischen Kirche erhebliche Zugeständnisse: das landesherrliche Placet sollte beschränkt, der Verkehr der Katholiken mit dem heiligen Stuhl freigegeben, die Verbindung eines Konvikts mit der katholisch-theologischen Fakultät angeordnet und die Mitwirkung der Staatsbehörden bei der Seminarprüfung in eine bloße Kenntnisnahme umgewandelt werden. Außerdem erließ die Regierung Verordnungen über die Verleihung von Kirchenpfründen, wodurch die bischöflichen Rechte bedeutend erweitert wurden, und über die Erteilung des katholischen Religionsunterrichts an den Volks- und Gelehrtenschulen, wodurch dem Erzbischof ein überwiegender Einfluß darauf eingeräumt wurde; das Institut der landesherrlichen Dekanate wurde aufgehoben, die Verwendung des Kirchenvermögens an die Zustimmung der erzbischöflichen Behörde gebunden und derselben unbeschränkte Kenntnisnahme von der Verwaltung dieses Vermögens zugestanden.

Alle diese die staatlichen Hoheitsrechte unverantwortlich preisgebenden Zugeständnisse fanden aber die zu erwartende Anerkennung von seiten des Erzbischofs nicht. Vielmehr erließ derselbe sofort einen Protest dagegen und darauf eine Erklärung, daß die Bischöfe in den Angelegenheiten, welche die Kirche und den Staat gemeinsam berührten, nicht mehr nach den bestehenden Gesetzen und landesherrlichen Verordnungen, sondern nach den Normen, die sie als dem Dogma und dem Verfassungsrecht ihrer Kirche entsprechend aufgestellt, ihr Amt verwalten würden. Als die badische Regierung diese Erklärung unbeantwortet ließ, schritt der Bischof von Freiburg eigenmächtig vor; er wies bei den Seminarprüfungen selbst die Gegenwart eines landesherrlichen Kommissars zurück, besetzte Pfarreien, die früher von dem Landesherrn vergeben worden waren, etc., ja er verlangte statt einer Mitaufsicht über das Kirchenvermögen die Oberaufsicht über dasselbe und erließ an den Oberkirchenrat, der das landesherrliche Schutz- und Aufsichtsrecht über die Kirche auszuüben hatte, unter Androhung der Exkommunikation die Weisung, daß derselbe sein Verhalten nur nach den Erklärungen der erzbischöflichen Kurie zu regeln habe. Die Vorstellungen der Mitglieder des Oberkirchenrats blieben erfolglos, ebenso ein weiterer Versuch der Regierung, den Erzbischof auf den Weg der Unterhandlung zurückzuführen. Der Erzbischof erklärte offen, er werde sich die Rechte, welche die Regierung ihm verweigere, selbst zu verschaffen wissen, und nun erst, und nachdem eine nochmalige Aufforderung an den Erzbischof ohne Erfolg geblieben war, verfügte die Regierung 9. Nov. 1853, daß weder der Erzbischof, noch das Ordinariat, noch in ihrem Namen ein Dritter einen Erlaß ohne Zustimmung und Billigung des Regierungsspezialkommissars (Stadtdirektors Burger in Freiburg) ergehen lassen dürfe. Gleichzeitig ward ein Erlaß des Ministeriums des Innern an die katholische Geistlichkeit gerichtet, worin derselben Treue gegen die Regierung, die sie zu schützen wissen werde, dringend empfohlen wurde. Der Erzbischof antwortete mit Aussprechung des Bannes gegen den Stadtdirektor Burger und gegen die Mitglieder des Oberkirchenrats, während er zugleich einen Hirtenbrief erließ, der eine offene Kriegserklärung gegen die Regierung enthielt. Der Bann wie der Hirtenbrief wurden auf vielen Kanzeln verlesen, worauf die Regierung die Pfarrer, welche dies gethan hatten, verhaften, jedoch bald wieder in Freiheit setzen ließ. Renitente Gemeinden wurden durch Einquartierung zum Gehorsam gebracht. Die Auszahlung der Gehalte an die vom Erzbischof eingesetzten Priester wurde verweigert und die fremden Geistlichen, die auf manchen Pfarreien zur Aushilfe dienten, ausgewiesen. Zugleich wurde die Aufsicht über die kirchlichen Stiftungen dem Staat übertragen. Die Regierung nahm zwar durch Verordnung vom 25. März 1854 die Verfügung vom 9. Nov. d. J. zurück und widerrief auch die Ausweisung der fremden Geistlichen. Das reizte aber nur den Erzbischof, der von fanatischen Ratgebern vorwärts getrieben wurde, zu um so schrofferm Vorgehen, indem er den Priestern den Verkehr mit Staatsstellen in kirchlichen Dingen verbot und die Verwaltung des Kirchenvermögens ganz allein in die Hand nehmen wollte. Nun schien die Regierung sich endlich aufraffen zu wollen. Am 22. Mai wurde dem Erzbischof wegen Aufreizung gegen die Staatsgewalt seine Verhaftung angekündigt und er bis 31. Mai in seinem Zimmer durch Gendarmen bewacht. Inzwischen ließ sich die Regierung auf Verhandlungen mit der päpstlichen Kurie ein und schloß im Juli 1854 einen Vertrag mit derselben ab, in welchem sie alle Verordnungen und Strafen zurücknahm, den Erzbischof in seinen vollkommenen Rechtsstand wieder einsetzte, ihm die provisorische Besetzung aller Pfründen überließ und die Aufsicht über die kirchlichen Stiftungen zurückgab. Ja, nachdem 1856 der österreichisch gesinnte, klerikale Meysenbug als Leiter des Auswärtigen und Stengel für das Innere in das Ministerium getreten waren, ließ sich B. sogar nach dem Beispiel Österreichs und Württembergs zu einem Konkordat mit der päpstlichen Kurie herbei, das 28. Juni 1859 abgeschlossen und 3. Dez. veröffentlicht wurde. Dasselbe gewährte in seinen 24. Artikeln der katholischen Kirche alles, was der Erzbischof je gewünscht hatte. Er erhielt nämlich kraft desselben das Besetzungsrecht bei 209 Pfarreien, das Recht, im Einvernehmen mit der Regierung religiöse Orden einzuführen, die Entscheidung in Ehesachen, volle Disziplinargewalt über die Geistlichen und die Auf-^[folgende Seite]