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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Bewässerung

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Bewässerung (Geschichtliches).

Wiesen der B. mit Wasser unterworfen, selten Feldflächen. Nur da, wo Kloakenwasser in der Nähe großer Städte zur Verfügung steht, bedient man sich derselben zur B. des Ackerlandes, wogegen in den Tropenländern das Wässern die wesentlichste Operation im Feldbau bildet, ja letzterer gewöhnlich nur durch die Zuführung von Wasser möglich ist. Nördlich und südlich vom Äquator ist die Zone der bloßen B., welche gewöhnlich allein genügt, um dauernd gute Ernten zu entnehmen; ihr folgen die Zonen mit Düngung und B., dieser in unsern Klimaten die mit Düngung und Entwässerung für die Felder und Düngung und B. für die Wiesen. Die ältesten Anlagen zur B. für die Felder sind in Indien, am Euphrat, in Syrien und Ägypten zu suchen; von da aus haben sie sich nach Griechenland, Italien und Spanien und über Nordafrika verbreitet. Die Ägypter wußten den mit den Nilüberschwemmungen ihnen alljährlich gebotenen Dungstoff für ihre Felder nutzbar zu machen; sie kannten keinen andern Dünger und verbrannten das Stroh und die bald trocknenden Exkremente der Tiere, wie dies auch heute noch geschieht. Sie sammelten das Wasser in Bassins und leiteten es von da aus weiter, zum Teil schon mittels Schöpfräder auf höher liegende Flächen. Die Griechen lernten schon entwässern und düngen; die Wässerungsanlagen entnahmen sie den Ägyptern. Die Römer wußten das Wasser außerordentlich zu schätzen; wir bewundern noch heute ihre freilich vorwiegend für Trinkwasserleitungen dienenden Wasserbauten und Wasserkastelle (erhöhte Bassins), ihre Röhrenleitungen, künstlichen Teiche und Seen, Quellenleitungen und dergleichen Anlagen. Ihre Schriftsteller berichten von der Güte der verschiedenen Gewässer und geben überhaupt schon brauchbare Anleitungen. Am entwickeltsten zeigte sich die B. aber bei den Mauren in Spanien, deren großartige Wasserbauten noch heute in ihren Einrichtungen und Spuren erkennbar, in einzelnen Gegenden noch so weit erhalten sind, daß sie die gegenwärtige Kultur einzelner Distrikte bedingen. Die Anlagen der Mauren dienten anderwärts vielfach als Vorbild in Bezug auf die Art der Anlagen, die Gesetzgebung, die gesamte Verwaltung und Organisation, charakteristisch dadurch, daß hier die nachweisbar älteste Form der wirtschaftlichen Genossenschaft sich findet. Die Mauren teilten die ganzen von ihnen beherrschten Provinzen in Bewässerungsbezirke, denen das für ihre Felder und Wiesen nötige Wasser durch Aufstauung der Gebirgsbäche und Flüsse für den Sommer gesichert wurde. Die Aufstauung der Gebirgsbäche geschah durch große Sperrmauern, die der Flüsse durch Wehre. Aus den durch diese Aufstauungen entstandenen Reservoirs führten Hauptkanäle (Almatriches) das Wasser ab; aus diesen trat es in andre Kanäle (Azequias) über und ward aus diesen endlich durch Schöpfwerke (Norias) auf das zu bewässernde Land gehoben, wenn nicht der Wasserspiegel der Kanäle höher lag als das Feld. Nach dem Flächeninhalt jedes Feldes und der durch die Bodenbeschaffenheit bedingten Wasserbedürftigkeit desselben wurde die Wasserportion (Alema) berechnet, deren jedes Grundstück bedurfte, und danach der Querschnitt der Azequien und die tägliche Öffnungszeit einer jeden bemessen. Nach der größern oder geringern Trockenheit der Jahre oder einzelner Tage und nach der Querschnittssumme aller von einem Bassin aus zu speisenden Azequien richtete sich die Öffnungsweite, welche dem Auslauf für jeden Tag zu geben war. Die genaue Regelung dieser Öffnungsweite war durch einen Schraubenhahn ermöglicht, der mit einem Zeiger in Verbindung stand, welcher auf einer Skala den Kubikinhalt des in jeder Minute durch die Öffnung entweichenden Wassers angab. Jeder Besitzer hatte nun eine oder mehrere Stunden des Tags das Recht, seine Azequia offen zu halten, wofür er einen gewissen Betrag zahlte; wenn er diese ihm zugestandene Zeit überschritt, d. h. bei dem durch eine Glocke (vela) vom Wasserwächter gegebenen Zeichen seine Azequia nicht schloß oder dieselbe vor dem betreffenden Zeichen öffnete, oder des Nachbars Azequia verstopfte etc., so fiel er in strenge Strafe. Diese Einrichtung besteht jetzt noch in manchen Provinzen Spaniens und macht es möglich, daß die Felder selbst in den trockensten Jahren im Sommer keinen Wassermangel leiden.

Im Mittelalter zeichnete sich Oberitalien durch seine vorzüglichen Bewässerungseinrichtungen und durch eine weise Gesetzgebung zum Schutz derselben aus; das heute bewunderte Bewässerungssystem mit hoch über den Feldern hingeleiteten Fluß- und Kanalrinnen und unzähligen Zuleitungen ist in dieser Zeit entstanden; die Erfindung (resp. Nachahmung und Vervollkommnung) wird den Mönchen von Chiaravalle zugeschrieben, welche schon im 11. Jahrh. ein vollkommenes System auf ihren Grundstücken eingerichtet hatten. Der älteste Kanal ist der von Vettalia (1057). Schon 1216 erscheint in Mailand eine Sammlung der Verordnungen über die Leitung und Benutzung des Wassers, welche später vervollständigt wurde und zur Grundlage der noch heute gültigen Gesetzgebung von 1747 diente. Die erwähnten Mönche, durch ihr System weit und breit berühmt, besaßen bis zu 60,000 Pertiche (über 8000 Hektar) Wässerungswiesen und verkauften ihren Überfluß an Wasser. Auch hier hatte man schon besondere Meßapparate und berechnete die abfließenden Mengen nach Oncias (0,029 qm), durch welche pro Minute 2,1835 cbm Wasser fließen. In der Folge und bis zur neuesten Zeit fand zur Bemessung des Wassers anstatt der Wasserunze der im 16. Jahrh. von Soldati erfundene Modulus Anwendung. Man unterscheidet trockne Wiesen, nur im Gebirge, bewässerte Wiesen, mit B. vom 25. März bis 8. Sept., und die Winterwiese (prato marcitorio), welche das ganze Jahr über bewässert wird und zwar zumeist mit Quellwasser, dessen Temperatur im Winter wärmer als Luft und Boden ist. Hier lernte man zuerst die Anlagen im Rübenbau, mit Beeten bis zu 0,5 m Höhe über dem Abzugsgraben, 10-15 m breit. Alles Wasser ist in festem Eigentum und wird ge- und verkauft. Der Ertrag steigt bis 20,000 kg pro Jahr auf den besten Wiesen, durchschnittlich bis zu 12,500 kg pro Hektar und darüber. Wechselwiesen sind solche, welche zeitweise dem Kornanbau dienen; diese und die Winterwiesen werden alljährlich gedüngt; das Wasser allein hält man nicht für ausreichend, um auf die Dauer die gewünschten Erträge zu geben. Am höchsten schätzt man das Abflußwasser aus Städten; pro Oncia zahlt man bis 800 Lire Pacht pro Jahr. Großartige Kanäle sind die von Muzza, Triviglio, Muntesana, Pavia und der Naviglio Grande bei Mailand. Die ganze lombardische Ebene liegt tiefer als der Spiegel des Po und das von ihm aus über das Land sich erstreckende Netz von Kanälen, Ab- und Zuleitungen, Gräben und Dämmen mit Schleusen, Wehren; Sielen aller Art, Hebevorrichtungen u. dgl. Vgl. Hamm, Die Meliorationen in Italien (Wien 1865). - Aus England wird der Rieselungswiesen in Wiltshire als der ältesten gedacht, 1690-1700 etwa 15-20,000 Acres umfassend, ebenfalls unter Aufsicht eines