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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Chinesische Mauer - Chinesische Sprache und Litteratur.

Chinesische Mauer, der an der Nordgrenze des eigentlichen China errichtete Schutzwall, das riesenhafteste Verteidigungswerk, das je aufgeführt worden ist. Sie hat in China den Namen Wanlitschangtscheng ("die große Mauer von 10,000 Li") und wird in ihren Anfängen auf Erdwälle zurückgeführt, die der Kaiser Schihuangti (246-209) aus der Dynastie Tschin gegen die Einfälle der Tataren aufführen ließ. Vermutlich ist die jetzt existierende Mauer mit der damaligen auch dem Ort nach nur zum geringen Teil identisch. Der Bau der erstern datiert nach neuern Forschungen nicht über das Ende des 14. Jahrh. zurück und erstreckt sich vielleicht über eine längere Periode während der Dynastie Ming (1368 bis 1644). Die gegenwärtige Dynastie (seit 1644) hatte keine Veranlassung, die Große Mauer als Grenzverteidigung in stand zu halten; mit Ausnahme einzelner wichtiger Pässe, die zu Grenzzollzwecken repariert wurden, blieb daher das alte Bauwerk dem Verfall überlassen. Die jetzige Mauer beginnt im W. der chinesischen Provinz Kansu, bei Sutschou, und zieht sich, am Rande des Hochlandes entlang, in einem weiten Bogen bis zum Meerbusen von Petschili und auf der Grenze von Schinking in nordöstlicher Richtung weiter bis zum Sungarifluß. Ihre ganze Länge wird zu etwa 3000 km geschätzt. An manchen Stellen ist sie doppelt, ja dreifach, wie namentlich in der Nähe von Peking. Sie besteht größtenteils aus Erdwällen mit Futtermauern, läuft als solide Mauer an den steilsten Gebirgswänden und über Abgründe hinweg und macht einen überaus imposanten Eindruck. Die zweite, innere Reichsmauer ist höher und solider ausgeführt als die äußere; sie hat 11 m Höhe bei 7,5 m Dicke, ist aus Granitplatten zusammengesetzt und mit Zinnen aus Ziegelsteinen gekrönt. Auf den höher gelegenen Punkten erscheint sie durch viereckige Türme verstärkt; die Eingangsschlucht Hoanhou enthält auf einer Entfernung von 12-13 km neun Thore, von denen drei paarweise, das letzte zu dritt angelegt ist. Vgl. v. Möllendorff, Die Große Mauer von China (in der "Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft", Bd. 32).

Chinesische Rose, s. Hibiscus.

Chinesischer Speckstein, s. v. w. Agalmatolith.

Chinesischer Talg (chinesisches Wachs), s. Talg, vegetabilischer.

Chinesische Schrift, s. Chinesische Sprache und Litteratur, S. 29.

Chinesisches Feuer, bei den Chinesen seit etwa 200 n. Chr. gebräuchliche, dem Schießpulver ähnliche Mischung zu Feuerwerken und Kriegszwecken, wurde noch 1858 bei Kanton angewandt, ist aber seitdem durch das europäische Schießpulver verdrängt worden.

Chinesisches Gras, s. v. w. Chinagras.

Chinesisches Meer, die große Wasserfläche, welche sich im O. und S. Chinas vom japanischen Inselreich bis in die Gewässer zwischen Hinterindien und Borneo erstreckt und in drei Teile zerfällt: den nördlichsten, die Gelbe See (Wanghai), zwischen Korea und dem nördlichen China, mit den Golfen von Petschili und Liaotung und der Koreabai; die Chinesische Ostsee (Tunghai), ohne größere Buchten, und die Chinesische Südsee (Nanhai), die mit der vorigen durch die Fukianstraße verbunden ist und die Meerbusen von Tongking und Siam enthält. Gefährlich sind die zur Zeit des Monsunwechsels auftretenden Taifuns.

Chinesische Sprache und Litteratur. Der südöstliche Teil des asiatischen Festlandes, China, Hinterindien mit Ausnahme der Halbinsel Malakka, Tibet und die zwischen diesem und Hinterindien liegenden kleinern Länder, bildet das Gebiet einer Menge von Völkerschaften, die wie physiologisch, so auch sprachlich zusammengehören, und deren Idiome man unter dem Namen des indochinesischen Sprachstammes und der monosyllabisch isolierenden Sprachklasse zusammenzufassen pflegt. Unter diesen Sprachen ist die chinesische die ausgebreitetste und wichtigste, denn sie wird von etwa einem Viertel der Menschen gesprochen, ist auch außerhalb ihres eigentlichen Gebiets unter den Gebildeten von Japan, Korea und Anam vielfach im Gebrauch und hat eine der ältesten und wahrscheinlich die größte Litteratur der Welt. Sie ist aber auch diejenige, in welcher sich der Charakter ihrer Klasse am schärfsten ausgeprägt darstellt; denn mindestens in ihrer ältern Gestalt kennt sie nur einsilbige Wortstämme, kaum zusammengesetzte Wörter und vermag die grammatischen Werte der Wörter, ihre Anwendung als Substantiva, Adjektiva, Verba etc. und das, was unsre Sprachen durch Beugungen zum Ausdruck zu bringen pflegen, nur durch Wortstellungsgesetze und selbständige Hilfswörter kenntlich zu machen. Natürlich hat sie im Lauf der Zeiten vielfache Veränderungen erlitten. Der Gebrauch zusammengesetzter Ausdrücke statt früherer Monosyllaben und die Anwendung der Partikeln haben immer mehr überhandgenommen, alte Ausdrücke sind ungebräuchlich geworden oder werden jetzt in veränderter Bedeutung gebraucht, und vor allen Dingen macht das Lautwesen der heutigen gebildeten Umgangssprache den Eindruck großer Abgeschliffenheit. Wäre die Sprache zu der Zeit, wo die ältesten auf uns gekommenen Volkslieder gesungen wurden, nicht viel lautreicher gewesen, so wären diese Lieder von allem Anfang an den Zuhörern unverständlich gewesen, wie sie es heute sind.

Das Chinesische zerfällt in eine Menge Dialekte, die sich nicht nur lautlich, sondern auch grammatikalisch und lexikalisch oft sehr erheblich voneinander unterscheiden. Die der Provinzen Kuangtung und Fukian sind die für die Europäer wichtigsten und daher bei uns bekanntesten; innerhalb dieser Dialekte variieren aber die Mundarten oft so, daß Leute, die nur wenige Meilen voneinander heimisch sind, Mühe haben sollen, einander im mündlichen Verkehr zu verstehen. Hätten die Chinesen nicht eine Schrift, die ähnlich unsern Zahlzeichen von jedem in seiner Zunge gelesen werden kann, so wäre es nie zu der nun Jahrtausende alten Kultureinheit eines so riesigen Ländergebiets gekommen. Frühzeitig gewann der Dialekt der Hauptstadt Nanking, als der des Hofs, vor den übrigen die Oberhand; er wurde für die Gebildeten des Reichs "gemeinsame Verkehrssprache" - dies (nicht, wie man früher fälschlich übersetzt hat, "Mandarinendialekt") ist der Sinn des Ausdrucks Kuānhoá -, und unter der Mongolendynastie (1280-1368) begann man ihn in Werken der leichtern Litteratur als Schriftsprache zu verwenden. So bezeichnet Kuānhoá zugleich den Gegensatz zu den Provinzialdialekten und den zu dem kurzen, markigen alten Bücherstil (Kùwên). Daß auch er innerhalb der sechs Jahrhunderte vielfachen Wandlungen unterlegen, versteht sich von selbst. Neuerdings kommt die Mundart von Peking als nördlicher Kuānhoá in immer allgemeinere Aufnahme. Der "alte Stil" aber ist noch heute der der ernstern Litteratur. Wêntschâng ist eine Mittelform zwischen Kùwên und Kuānhoá. Was das Lautsystem im Chinesischen betrifft, so sind die Vokale a, e, i, o, u, ü und ï (ein dumpfes e oder i), wozu noch mundartlich manche Zwischenschattierungen kommen, wie å, ä, o etc. Sie können

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