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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Dörpfeld

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Dorpat - Dörpfeld.

Denkmal des aus Livland stammenden russischen Feldmarschalls Barclay de Tolly. Zur Rechten und Linken, wo ein größerer Raum zwischen dem hohen Ufer und dem Fluß bleibt, entwickelt sich die Stadt. Jenseit des Embachs befindet sich noch ein nicht unbedeutender Teil der Stadt. Jüngst angelegte Deiche, die sich die Embachufer entlang ziehen, schützen die Stadt vor dem Frühlingswasser und bieten zugleich schöne Spaziergänge. Die Einwohner, (1881) 29,727 an Zahl, sind überwiegend Deutsche, im übrigen Russen und Esthen, welch letztere besonders die dienende Klasse der Dorpater Bevölkerung bilden. Von industriellen Etablissements bestehen in D. große Bierbrauereien, Brot-, Zigarren-, Kachelfabriken, 2 größere Buchhandlungen, 5 Buchdruckereien, 3 Pianofortefabriken. Der Handel in Landesprodukten (besonders Holz, Getreide, Flachs) ist ansehnlich, wird durch den schiffbaren Embach gefördert, auf dem vier Dampfboote regelmäßige Fahrten über den Peipussee bis nach Pskow unternehmen. Die städtische Bank, deren Reingewinn teilweise zu Schulzwecken verwandt wird, hat einen jährlichen Umsatz von 50-60 Mill. Rubel. Im Januar findet ein Jahrmarkt statt. Die 1632 gestiftete und 1802 erneuerte Universität, deren Gebäude auf dem Grunde der alten Marienkirche aufgeführt ist, zählte 1884: 73 Professoren, Dozenten und Lektoren und 1522 Studierende. Sie besteht aus fünf Fakultäten: der evangelisch-theologischen, der historisch-philologischen, der physiko-mathematischen, der juristischen und der medizinischen. Mit der Universität sind verbunden: ein theologisches Seminar, ein medizinisches Institut, ein chirurgisch-klinisches Institut (nebst einem großen Barackenlazarett), eine ophthalmologische Klinik, ein Institut für Geburtshilfe, ein anatomisches Theater, eine Bibliothek von mehr als 230,000 Bänden, ein Kunstmuseum, ein zoologisches und mineralogisches Institut, ein chemisches Laboratorium, eine durch Struve und Mädler berühmt gewordene Sternwarte und ein botanischer Garten (vgl. "Die deutsche Universität D.", Leipz. 1882). Das Museum vaterländischer Altertümer enthält eine bedeutende Sammlung von Münzen, alten Waffen etc., zum Teil aus den alten Heidengräbern entnommen. Mit der Universität sind auch eine Medizinische, eine Naturforscher- sowie die Gelehrte Esthnische Gesellschaft verbunden. Außerdem besitzt D. die 1846 gegründete Veterinäranstalt, ein Gymnasium, 2 Schullehrerseminare, eine städtische und 2 private höhere Töchterschulen. In D. hat die Livländische Ökonomische Gesellschaft ihren Sitz, die eine eigne Zeitschrift: "Baltische Wochenschrift", herausgibt. Vgl. W. Stieda, Die gewerbliche Thätigkeit der Stadt D. (Dorp. 1879).

Geschichte. D. wurde 1030 von dem russischen Großfürsten Jaroslaw I. gegründet. Allein die ihnen damit auferlegte russische Herrschaft wußten die Esthen wieder abzuschütteln, und sie erfreuten sich ihrer alten Freiheit, bis 1224 die an der Düna erblühte deutsche Kolonie trotz tapferster Verteidigung die Eroberung dieser letzten und stärksten Esthenburg durchführte. Im J. 1225 erhob Hermann, Bischof von Esthland, D. zum Sitz eines eignen unabhängigen Bistums, und D. erreichte unter der bischöflichen Herrschaft eine hohe Blüte. Zwischen dem 14. und 15. Jahrh. hob sich die Stadt noch mehr, schloß sich dem Hansabund an und rivalisierte in Reichtum und Macht selbst mit Riga und Reval. Im J. 1268 wurde das feste Schloß aus dem Domberg fruchtlos von den Russen belagert, dagegen die damals aus Blockhäusern bestehende Stadt von Grund aus verbrannt. 1304 hielt der livländische Ordensmeister mit seinen Beamten und den Bischöfen hier die erste allgemeine Versammlung des Landes; 1427 wurde D. wiederum von den Pleskower Russen belagert, die aber von den Litauern vertrieben wurden. 1525 folgte D. dem Beispiel der Schwesterstädte und nahm die protestantische Lehre an. Mit dem übrigen Land verlor auch D. seine Selbständigkeit durch die Einfälle der Heere des russischen Zaren Iwan des Schrecklichen. Diesem gelang es, 18. Juni 1558 die Stadt zu erobern. Der Bischof wurde nach Rußland abgeführt, die Stadt konnte nicht wieder von den Deutschen erobert werden und verfiel unter der 25jährigen Herrschaft der Russen. Schwer litt sie durch das Blutbad von 1571: Reinhold Rosen wollte sie den Polen in die Hände spielen, der Anschlag mißlang aber, worauf ein großer Teil der unschuldigen Bewohner von den Russen niedergemacht wurde, ein andrer nach Rußland in die Verbannung wanderte, während ihre Häuser dem Erdboden gleich gemacht wurden. Dennoch sah sich Rußland gezwungen, im Frieden mit Stephan Báthori 1582 D. an Polen abzutreten. 1600 wurde die Stadt von den Schweden erobert, fiel aber 1603 wieder an die Polen, welche nun durch die härtesten Mittel die katholische Lehre in der eifrig protestantischen Stadt einzuführen suchten, aber den heftigsten Widerstand fanden und die Stadt endlich 1625 an Gustav Adolf verloren. Allerdings wurde D. 1656 von den Russen erobert und wieder ein Teil der Bevölkerung in die Gefangenschaft geführt; allein bald fiel die Stadt wieder an die Schweden zurück, und erst 1704 wurde sie unter Peter d. Gr. vom russischen Feldherrn Scheremetjew erobert und blieb seitdem unter russischer Herrschaft. Wegen vermeintlicher Verbindungen mit Schweden wurde 1708 zum drittenmal der größte Teil der Bewohner tief ins Innere Rußlands versetzt, und die Stadt verfiel völlig. Erst nach mehreren Jahren durften die Bewohner zum Teil wieder heimkehren, und nun begann sich D. von den wiederholten Kriegen und Zerstörungen zu erholen und hat sich seit Katharina II. und Alexander I. zu einer eleganten, fast neuen Stadt entwickelt. In den Jahren 1763 und 1775 ward es von großen Bränden heimgesucht und beidemal von der Kaiserin Katharina II. im Wiederaufbau unterstützt. Seit 1783 ist D. Kreisstadt im Gouvernement Livland.

Dörpfeld, Friedrich Wilhelm, pädagog. Schriftsteller, geb. 1824 zu Wermelskirchen (Kreis Lennep), wurde in der Zahnschen Anstalt zu Fild und im Lehrerseminar zu Mörs gebildet, wirkte dann als Lehrer an der genannten Anstalt zu Fild und seit 1849 als Hauptlehrer und später als Rektor zu Wupperfeld bei Barmen, welches Amt er 1880 niederlegte, um in Gerresheim ausschließlich seiner schriftstellerischen Thätigkeit zu leben. In seinen zahlreichen pädagogischen Schriften wie in seinem "Evangelischen Schulblatt" (Gütersl., seit 1857) vertritt D. in philosophischer Hinsicht die Anschauungen Herbarts, in kirchlicher die positiv evangelische Richtung, bekämpft aber die Abhängigkeit der Schule von der Kirche (vgl. seine Schriften: "Die freie Schulgemeinde auf dem Boden der freien Kirche im freien Staate", das. 1863, und "Drei Grundgebrechen der hergebrachten Schulverfassungen", das. 1868). Großes Aufsehen erregte sein "Beitrag zur Leidensgeschichte der Volksschule nebst Vorschlägen zur Reform der Schulverwaltung" (1880), mit welchem er die Rede des Ministers v. Puttkamer über die sittlichen Schäden des Lehrerstandes vom 11. Febr. 1880 beantwortete. - Sein Sohn Wilhelm, geb. 1855, Architekt, war 1878-81 als Bau-^[folgende Seite]