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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Frankreich

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Frankreich (Geschichte: Haus Valois; Philipp VI., Johann der Gute, Karl V.).

trat er gegen den Papst auf. Bonifacius VIII., der herrschsüchtigste aller Päpste, der nicht nur die geistliche, sondern auch die weltliche Herrschaft über die ganze Christenheit beanspruchte, war wegen Einkerkerung eines päpstlichen Legaten durch den König mit diesem in Streit geraten und hatte ihn schließlich exkommuniziert. Aber auf einer großen Reichsversammlung in Paris 1302 erklärten nicht nur die weltlichen Stände, sondern auch die Geistlichkeit, daß sie zur Wahrung der Ehre und Rechte des Reichs und der Krone zu dem König stehen und ihn mit Gut und Leben unterstützen würden. Daher verweigerte Philipp dem Papst kühn den Gehorsam und appellierte mit Zustimmung des Reichstags an ein allgemeines Konzil. Zugleich ließ er durch einige Getreue, welche den römischen Adel zur Empörung anstachelten, den Papst zu Anagni überfallen und gefangen nehmen; Kummer und Zorn töteten denselben nach wenigen Wochen (1303). Sein Nachfolger Benedikt XI. hielt es für geraten, sich mit dem König auszusöhnen, und Clemens V. erkaufte die Unterstützung, welche Philipp seiner Erhebung hatte zukommen lassen, mit der Übersiedelung nach dem südfranzösischen Avignon (1309). So geriet das Papsttum in schmachvolle Abhängigkeit von der französischen Krone. Philipp benutzte dies nicht nur zur Förderung seiner äußern Politik, sondern auch in der Weise, daß er in beiderseitigem finanziellen Interesse den Papst zur Aufhebung des reichen Templerordens nötigte (1312); die hervorragendsten Templer wurden unter erdichteten Anklagen zu Tode gemartert. Lyon nahm er dem machtlosen Deutschen Reich ab, und auch über die benachbarten deutschen Fürsten dehnte sich Philipps Einfluß aus. Aber an der Kraft eines freiheitliebenden Volkes scheiterte seine List und Gewalt. Die reichen und stolzen flandrischen Städte erhoben sich unter Anführung des Webers Peter Koning von Brügge gegen die französische Herrschaft und besiegten das französische Adelsheer in der glorreichen Schlacht bei Courtrai (1302). Alle Versuche, das Land wiederzuerobern, blieben vergeblich.

Unter Philipps IV. Sohn Ludwig X., "dem Zänker" (1314-16), begann von seiten des Adels gegen die zentralisierende antifeudale Richtung des Königtums eine umfassende Reaktion, die zur Entlassung der meisten Räte Philipps IV. und zur Hinrichtung des bisherigen Finanzministers Enguerrand de Marigny führte und, von Ludwigs Bruder und Nachfolger Philipp V., "dem Langen" (1316-22), zurückgedrängt, unter dem jüngsten der Brüder, Karl IV. (1322-28), vollständig triumphierte. Karl erhielt von den Flandrern den südlichen, französisch redenden Teil ihres Landes, von den Engländern den Distrikt von Agen abgetreten, indem er sich geschickt in die innern Streitigkeiten beider Völker einmischte. Aber da Karl IV. gleichfalls keine Söhne hinterließ, so erlosch mit seinem Tod (1. Febr. 1328) die ältere Linie der Kapetinger im Mannesstamm, nachdem sie während ihrer vierthalbhundertjährigen Herrschaft das Ansehen des Königtums dauernd befestigt und im Volk das Bewußtsein seiner Nationalität geweckt hatte. Weil schon 1317 eine Reichsversammlung in Paris erklärt hatte, daß in F. auf Grund des Salischen Gesetzes der Franken Frauen von der Thronfolge ausgeschlossen seien, so wurde trotz des Einspruchs des Königs Eduard III. von England, welcher als Sohn Isabellas, einer Tochter Philipps IV., den französischen Thron beanspruchte, Philipp aus der kapetingischen Seitenlinie der Valois, der leibliche Vetter der letzten drei Könige, als König allgemein anerkannt.

Die Herrschaft der Valois und der hundertjährige Krieg mit England.

Philipp VI. (1328-50) war ein prachtliebender Herrscher, der ritterliche Vergnügungen und Abenteuer liebte und die Blüte des französischen und des ausländischen Adels an seinem Hofe versammelte. Eduard III. von England leistete ihm die Huldigung für Guienne, und auch Flandern gelang es ihm wieder zu unterwerfen. Aber der fortdauernde Streit der flandrischen Städte mit dem von Philipp eingesetzten Grafen gab Eduard Gelegenheit, den Krieg gegen F. zu beginnen, um seinen Anspruch auf die französische Krone durchzusetzen. Gleich bei Beginn des Kampfes wurde die französische Flotte von der englischen in der Seeschlacht bei Sluys (1340) vernichtet. Ohne wesentliche Entscheidung wütete der Krieg in Flandern, in der Bretagne, an der Garonne, bis 1346 das englische Heer, das Eduard auf einem Plünderungszug gegen Paris geführt hatte, auf dem Rückzug zur Schlacht gezwungen, 25. Aug. bei Crécy die französischen Ritter trotz tapfern Widerstandes völlig besiegte; 25,000 Tote bedeckten das Schlachtfeld. Nur die tapfere elfmonatliche Verteidigung von Calais gegen die Engländer rettete die französische Monarchie vor völligem Verderben. Mitten in dieser durch den Krieg und eine schreckliche Pest verursachten Not starb Philipp VI. (22. Aug. 1350), von dem Volk, das er mit harten Steuern bedrückt hatte, verwünscht. Doch hatte er die Grenzen Frankreichs insofern erweitert, als er dem Dauphin von Vienne die Dauphiné abkaufte, nach welcher von nun an die französischen Thronerben sich benannten.

Philipps VI. Sohn und Nachfolger Johann der Gute (1350-64) war ein äußerst beschränkter und schwacher, ganz in den Händen des hohen Adels befindlicher Fürst. Er ließ sich von dem Prinzen Eduard von Wales (dem "schwarzen Prinzen") mit dessen fünffach schwächerm Heer bei Maupertuis (19. Sept. 1356) schlagen und gefangen nehmen; es war dies die schmachvollste Niederlage des stolzen französischen Adels. Ergrimmt erhoben sich gegen denselben die Bauern in der sogen. Jacquerie, während die großen Städte, zumal Paris unter seinem Bürgermeister Stephan Marcel, die Gefangenschaft des Königs zu benutzen suchten, um die Regierung des Reichs an sich zu reißen. Indes gelang es dem Dauphin Karl, mit Hilfe des fest geeinten Adels beide Bewegungen unter furchtbarem Blutvergießen zu unterdrücken (1358). Aber das Land gegen die Engländer zu verteidigen, vermochte der Dauphin nicht, und so mußte er sich zu dem Frieden von Bretigny bequemen (1360), in welchem er den gesamten Südwesten Frankreichs von den Pyrenäen bis zur Loire sowie im Nordwesten das Gebiet von Calais und Guines (19 der jetzigen Departements) den Engländern als souveränen Besitz überließ und die Freilassung König Johanns mit 3 Mill. Goldthaler erkaufte. Entlassene Söldnerbanden verwüsteten das geschwächte Reich. Zu dessen Glück starb König Johann schon im April 1364, nachdem er 1363 das der Krone heimgefallene Herzogtum Burgund seinem zweiten Sohn, Philipp, übertragen und durch Begründung dieser Nebenlinie der Valois schwere Gefahren für F. heraufbeschworen hatte. Kein französischer König führte fortan den Namen Johann.

Karl V. (1364-80), "der Weise", war von schwachem Körperbau, aber klug, einsichtsvoll, bedächtig und seiner Ziele sich wohl bewußt. Die Unzufriedenheit der unter englische Herrschaft gelangten Provinzen (denn schon war in allen Gegenden das Bewußt-^[folgende Seite]