Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kreuzzüge

206

Kreuzzüge (erster und zweiter Kreuzzug).

dem Heiligen Grab eine prachtvolle Kirche hatte errichten lassen, war es im Abendland Sitte geworden, nach den heiligen Stätten in Palästina zu wallen, und die Kalifen beförderten diese Wallfahrten, die Geld und fremde Waren ins Land brachten, und gestatteten den Pilgern, Kirchen und ein Hospital zu bauen. Als aber Palästina zu Ende des 10. Jahrh. unter die Herrschaft der Fatimiden geriet, begannen harte Bedrückungen für die Pilger, die sich noch steigerten, als 1076 die Seldschukken Syrien und Palästina eroberten. Seitdem gelangten die traurigsten Nachrichten über Beschimpfung der heiligen Orte und Mißhandlung der Pilger nach dem Abendland, und der Gedanke eines Kriegszugs nach Asien zur Eroberung des Heiligen Grabes fand immer mehr begeisterte Anhänger; unter Urban II. kam die Idee zur Ausführung, aber nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, durch die Schilderung Peters von Amiens, der erst nachher durch seine volkstümliche Beredsamkeit die Bauern in Frankreich entflammte, sondern durch Urban II. selbst, der den allgemeinen Zug der innerlich erregten Zeit, indem er sich an seine Spitze stellte, zur Erhöhung der Macht des Papsttums geschickt verwertete. Die Kirchenversammlungen von Piacenza und Clermont (1095) riefen allgemeine Begeisterung hervor: der tausendstimmige Ruf, der zu Clermont ertönte, "Deus lo volt" ("Gott will es"), wurde das Losungswort des Zugs. Das deutsche Volk, von Parteiwut und Bürgerkrieg zerrissen, nahm an dem ersten Kreuzzug nur geringen Anteil, der außerdem von dem Todfeind des Kaisers ausging. Der Aufbruch des Heerzugs ward auf 15. Aug. 1096 festgesetzt. Aber noch ehe die Rüstungen zu diesem vollendet waren, eilte Peter der Einsiedler an der Spitze von 50-60,000 Menschen durch Deutschland und Ungarn nach Konstantinopel; ihm voran zog ein Edelmann, Walther ohne Habe, mit einem andern Heerhaufen. Doch ward der größte Teil dieser Abenteurer, die sich der Raubgier und jeder Zügellosigkeit überließen, schon von den Ungarn und Bulgaren aufgerieben; die übrigen stürzten sich über das griechische Reich, dessen Kaiser sie durch freigebige Spenden beschwichtigte, aber so schnell wie möglich über den Bosporus nach Asien schaffte. Hier brachen sie tollkühn in die Länder des Sultans von Ikonion ein, erlagen aber in der Vertilgungsschlacht bei Nicäa (Oktober 1096). Dem ersten Schwarm folgten bald andre zahlreiche Haufen nach, z. B. 15,000 Deutsche und Lothringer unter dem Oberbefehl eines Priesters Gottschalk und andre Heeresmassen, welche aber größtenteils von den Ungarn vernichtet wurden, nachdem sie sich schon auf ihren Märschen durch die Städte am Rhein, Main und an der Donau durch ihre Mordlust gegen die Juden berüchtigt gemacht hatten.

Der erste Kreuzzug wurde erst im Herbst 1096 angetreten, indem das eigentliche Kriegsheer, doppelt so stark wie die bereits aufgeriebenen Haufen, 300,000 wohlausgerüstete Krieger mit einem zahlreichen Troß, meist Niederländer, Franzosen und Normannen, wohldiszipliniert und geführt von den edelsten Helden der Zeit, nach dem griechischen Kaisertum zog. Neben Gottfried von Bouillon, Herzog von Lothringen, dem Oberanführer, und seinen Brüdern Balduin und Eustach glänzten durch Geburt oder Macht oder Thatenruhm Hugo d. Gr., Graf von Vermandois, Herzog Robert von der Normandie, die Grafen Robert von Flandern, Raimund von Toulouse und Stephan von Chartres, Bohemund, Fürst von Tarent, und Tancred von Apulien, die Zierde der Ritterschaft. Als Vertreter des Papstes begleitete das Heer Adhémar von Monteil, Bischof von Puy, ohne jedoch auf die Kriegsleitung Einfluß auszuüben. Auf verschiedenen Wegen kamen sie nach Konstantinopel: Gottfried durch Ungarn, Raimund durch Dalmatien, die Italiener zur See von Apulien aus. Der griechische Kaiser Alexios zwang sie zu dem Lehnseid und zu dem Versprechen, alle ehemaligen römischen Länder nach der Eroberung zurückzugeben oder ihn als Lehnsherrn anzusehen. In den ersten Tagen des Mai 1097 erfolgte der Übergang nach Kleinasien; Anfang Juni erschien das Kreuzheer vor Nicäa, der Hauptstadt des Seldschukkenfürsten Kilidsch Arslan, der zum Entsatz herbeieilte, aber geschlagen wurde. Bei Doryläon erfochten die Kreuzfahrer 1. Juli 1097 einen neuen Sieg, der ihnen den Durchzug durch das Reich Ikonion oder Rum eröffnete. Unter großen Entbehrungen, heimgesucht von Dürre und Hitze, gelangten sie nach Antiochia; kaum war die Stadt nach neunmonatlicher Belagerung 2. Juni 1098 von den Kreuzfahrern genommen, als diese von einem zahlreichen türkischen Heer unter Kerboga von Mosul in der Stadt eingeschlossen wurden und die äußerste Not litten, bis sie (durch die Auffindung der heiligen Lanze begeistert) 28. Juni einen Ausfall wagten und ihre Gegner zurückschlugen; in Antiochia gründete Bohemund ein selbständiges Fürstentum, nachdem Balduin kurz vorher dasselbe in Edessa gethan hatte. Am 7. Juni 1099 endlich kam das bis auf 20,000 Mann zusammengeschmolzene Kreuzheer vor Jerusalem an, welches die Fatimiden den Seldschukken wieder entrissen hatten, und das nach harten Kämpfen 15. Juli d. J. erobert ward. Afdahl, der fatimidische Kalif von Ägypten, versuchte noch einmal die Herstellung seiner Macht, wurde aber 12. Aug. bei Askalon entscheidend geschlagen. Jerusalem ward zum christlichen Königreich erhoben und Gottfried von Bouillon zum ersten König von Jerusalem ernannt; er starb jedoch schon im folgenden Jahr, worauf ihm sein Bruder Balduin folgte (1100-1118), der 1103-1104 Akka, Berytos und Sidon eroberte. Diesem folgte Balduin II. (1118-31) und diesem Fulko (1131-43), unter dem das Königreich seine weiteste Ausdehnung hatte.

Unterdessen hatten auf die Nachricht von der Eroberung Palästinas 1101 ein neues Kreuzheer unter dem Herzog Welf von Bayern in Deutschland und zwei andre in Italien und Frankreich, zusammen an 260,000 Mann, sich nach Kleinasien in Bewegung gesetzt, um Bohemund in Siwas zu befreien, dann aber Bagdad zu erobern, gingen jedoch bei Siwas im Juli nach heftigen Kämpfen meist durch das Schwert der Seldschukken zu Grunde. Den zweiten Kreuzzug veranlaßte die 1144 erfolgte Eroberung Edessas durch die Türken unter Zenki, dem Statthalter von Aleppo. Papst Eugen III. ließ hierauf von Vezelay aus einen Aufruf zu einem neuen Kreuzzug ergehen, indem er alle Kreuzfahrer nicht nur von ihren Sünden, sondern zugleich von der Verbindlichkeit, rückständige Zinsen zu bezahlen, lossprach wie auch die mitziehenden Lehnspflichtigen ihrer Pflichten gegen ihre Lehnsherren entband. Der schwärmerische Bernhard von Clairvaux wußte durch seine unwiderstehliche Beredsamkeit nicht nur König Ludwig VII. von Frankreich, sondern auf einem Reichstag zu Speier 1146 auch den der Sache wenig geneigten Kaiser Konrad III. für eine Kreuzfahrt zu gewinnen. Beide Heere, zusammen etwa 140,000 geharnischte Reiter und 1 Mill. Mann Fußvolk stark, brachen 1147 auf und zogen durch Ungarn über Konstantinopel nach Kleinasien. Die Deutschen wählten den kürzesten Weg durch das Reich Ikonion,