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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Nationallitteratur; Nationalökonomie; Nationalrat; Nationaltheater; Nationaltracht; Nationalverein, deutscher

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Nationallitteratur - Nationalverein, deutscher.

alten Konservative die Regierung nötigte, sich auf die gemäßigten Liberalen zu stützen, so erlangte die n. P. eine immer größere Bedeutung im politischen Leben der Nation und, da sie recht eigentlich die Gesinnung des gebildeten Mittelstandes vertritt, bei den Neuwahlen 1873 und 1874 eine erhebliche Verstärkung, indem in den preußischen Landtag 4. Nov. 1873: 182, in den deutschen Reichstag 10. Jan. 1874: 155 Nationalliberale gewählt wurden. Obwohl nicht eigentlich Regierungspartei, hielt es die n. P. doch für ihre Pflicht, in allen wesentlichen Fragen in beiden Körperschaften zu der Regierung zu stehen, welche in der innern und äußern Politik ihre Ziele verfolgte. Als sich aber Bismarck, durch die erste Ablehnung des Sozialistengesetzes, dann durch die ablehnende Haltung der Mehrheit der Partei gegen seine Zoll- und Wirtschaftspolitik gereizt, sich von ihr lossagte, erlitt die Partei bei den Neuwahlen zum Reichstag und zum Abgeordnetenhaus 1878 und 1879 so große Verluste, daß sie die Mehrheit verlor. Nachdem sich 1879 wegen der Opposition der Partei gegen die neue Wirtschaftspolitik Bismarcks eine Gruppe von 17 Mitgliedern unter Völk u. Schauß von ihr losgelöst hatte, schieden 1880 die entschiedenen Freihändler (Forckenbeck; Stauffenberg, Rickert, Bamberger u. a.) aus und bildeten die "liberale Vereinigung" (Sezessionisten), welche sich 1884 mit der Fortschrittspartei zur deutschfreisinnigen Partei verschmolz. Die n. P. verlor infolgedessen ihre meisten Sitze in den östlichen Provinzen Preußens und sank bei den Wahlen von 1881 und 1884 auf 45 Mitglieder im Reichstag herab, während sie im Abgeordnetenhaus 65 zählte. Nachdem sich die Partei indes durch die "Heidelberger Erklärung" vom 23. März 1884 ein neues klares Programm gegeben hatte, gewann sie wieder größern Einfluß und stieg nach der Auflösung des Reichstags wegen Ablehnung des Septennats durch die ultramontan-deutschfreisinnige Mehrheit bei den Neuwahlen (21. Febr. 1887) wieder auf 101 Mitglieder, so daß sie den Hauptbestandteil der regierungsfreundlichen Mehrheit bildet. Ihre Führer sind Bennigsen, Miquel, Buhl und Hobrecht. - Auch in Dänemark gibt es eine n. P., welche man auch die eiderdänische zu nennen pflegte, die sich besonders auf das Übergewicht Kopenhagens stützte, und deren Politik 1864 so glänzendes Fiasko machte.

Nationallitteratur, s. Litteratur.

Nationalökonomie, s. v. w. Volkswirtschaft (s. d.); Nationalökonomik, s. v. w. Volkswirtschaftslehre.

Nationalrat, in der Schweiz die eine Abteilung der Bundesversammlung, entsprechend der Zweiten Kammer; auch Titel eines Mitglieds derselben.

Nationaltheater, im 18. Jahrh. aufgekommene Bezeichnung für Schaubühnen, die sich die Ausbildung der vaterländische dramatischen Dichtkunst u. Schauspielkunst zur Aufgabe stellten und demgemäß vorzugsweise einheimische Stücke von nationalem Charakter zur Darstellung brachten. Die erste Unternehmung dieser Art war das durch Lessings dramaturgische Mitwirkung berühmt gewordene N. zu Hamburg, das 1767 von einer Anzahl patriotische Bürger daselbst ins Leben gerufen wurde, aber schon nach zwei Jahren wieder einging. Andre Bühnen mit derselben Tendenz waren das von Joseph II. 1776 gegründete Theater an der Burg zu Wien und das vom Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz 1779 errichtete N. zu Mannheim, dem Heribert von Dalberg vorstand. Auch das königliche Theater in Berlin führte unter Ifflands Leitung (1796-1814) den Namen N. Von Bühnen des Auslandes gehören das Théâtre-Français (s. d.) in Paris und aus neuerer Zeit das N. zu Budapest hierher.

Nationaltracht, Art der Kleidung, welche einer Nation als solcher eigentümlich ist und, ohne unter der Herrschaft der Mode zu stehen, von allen Ständen getragen wird. Solche Nationaltrachten waren früher besonders in Schottland, Spanien, Polen, Rußland, Schweden, Serbien und Ungarn üblich, während bei andern Völkern die Kleidertracht der höhern Stände dem Wechsel unterworfen war und eine N. nur in niedern Volksklassen, besonders bei den Bauern, sich vorfand, die sich bei den letztern noch bis auf den heutigen Tag erhalten hat (Tirol, Oberbayern, Schwarzwald, Hessen, Spreewald, Italien, Holland, Skandinavien, Schweiz, Normandie, Bretagne, Rußland, Italien). Die stärkere Betonung der Nationalität, welche neuerdings besonders durch die panslawistischen Bestrebungen gefördert worden ist, hat auch die höhern Gesellschaftsklassen (so in Rußland, Serbien, Ungarn) zur Wiederaufnahme der N. veranlaßt.

Nationalverein, deutscher, polit. Verein, welcher aus einer auf Veranlassung des hannöverschen Abgeordneten R. v. Bennigsen 17. Juli 1859 in Eisenach abgehaltenen Versammlung mehrerer sogen. Gothaer hervorging und auf einer zweiten Zusammenkunft in Eisenach 14. Aug. sein Programm aufstellte, welches die einheitliche Gestaltung Deutschlands unter preußischer Hegemonie sowie eine dem entsprechende Reform der Bundesverfassung mit einer deutschen Nationalvertretung anstrebte. Er breitete sich rasch aus, da die Ereignisse während des italienischen Kriegs die heillose politische Zerfahrenheit Deutschlands zu deutlich dargelegt hatten und die Schillerfeier 10. Nov. der nationalen Begeisterung einen mächtigen Aufschwung gab. Bereits im Herbst 1859 organisierte sich der Verein als d. N.; der Sitz des Ausschusses war Koburg, sein Organ eine "Wochenschrift", die seit 1860 erschien. Die Zahl seiner Mitglieder betrug 1864: 21,000, seine Einnahme 25,000 Gulden jährlich. Die preußische Regierung, welcher man im ersten Programm die Führung Deutschlands zugedacht hatte, wußte jedoch mit dieser Bewegung unglücklicherweise nichts zu machen und verhielt sich von Anfang an sehr kühl, fast ablehnend gegen sie. Noch mehr verscherzte sich Preußen das Vertrauen, als dort 1862 der Verfassungskonflikt ausbrach. Die Preußenfreunde im N. verloren mehr und mehr den Mut, offen für die preußische Hegemonie aufzutreten, und die demokratischen Elemente erlangten bald das Übergewicht. Die Flottenbeiträge, welche gesammelt waren, wurden nicht mehr an die preußische Regierung abgeliefert; ja, 1863 versuchte es der N. sogar, gegen Preußen aufzutreten, indem er in der schleswig-holsteinischen Frage ein eignes Programm aufstellte und sich zu dessen Durchführung mit seinem Gegner, dem großdeutschen Reformverein, verband und im Dezember 1863 den Sechsunddreißiger-Ausschuß bildete. Der N. sprach sich in offenem Bruch mit der preußischen Hegemonie sogar dahin aus, daß erst ein allgemeines deutsches Parlament über den künftigen Träger der Zentralgewalt in Deutschland entscheiden solle, und der Ausschuß verwarf Bismarcks Bundesreformvorschläge vom 9. April 1866. Indem nun Preußen wirklich im Sommer 1866 seine Bundesreform durchführte, war der N. vernichten. Angesichts dieser unerwartete Wendung der Dinge löste sich der N. im Herbst 1867 auf einer Zusammenkunft zu Frankfurt a. M. förmlich auf. Die angesammelten Flottengelder wurden dem Verein für Rettung Schiffbrüchiger übergeben.