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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Polarlicht

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Polarlicht (Beschreibung, Farbe, Höhe etc.).

sie einen leuchtenden Bogen am Horizont, dessen unterer Rand schärfer begrenzt zu sein pflegt als der mehr verschwommene obere. Unter dem Lichtbogen sieht der Himmel schwärzer aus als gewöhnlich, wie eine dunkle Wolke oder Nebelwand in der Gestalt eines kreisförmigen, vom Horizont begrenzten Segments. Der höchste Punkt des Lichtbogens liegt ziemlich nahe in der Richtung, nach welcher die Kompaßnadel hinweist, also im magnetischen Meridian. Der Polarlichtbogen ist häufig aus einzelnen Strahlen zusammengesetzt, welche von seinem untern Rand nach oben hin gerichtet und von verschiedener Länge sind und oft über den ganzen Bogen hinzuwandern scheinen. Der Polarlichtbogen steht nicht selten ziemlich hoch am Himmel, und seine Erhebung ist über dem Horizont von dem Standort des Beobachters abhängig. Manchmal zeigen sich gleichzeitig mehrere Polarlichtbogen übereinander, welche ihre Form und Stellung am Himmelsgewölbe ziemlich rasch ändern. Zuweilen ist das P. auch ohne Zusammenhang über einen größern Teil des Himmels zerstreut. Diese Art der Polarlichter und nicht minder das Licht der Polarlichtbogen zeigt häufig eine stark flackernde oder flammende Bewegung, indem verschieden gefärbte Strahlen bald hier, bald dort am Himmel aufleuchten. Zuweilen erscheinen diese Strahlen wie ein vom Wind bewegtes leuchtendes Band oder eine Lichtwelle (Fig. 2), zuweilen erfüllt sich der ganze Himmel oder wenigstens ein Teil desselben mit solchen flammenden Polarlichtstrahlen, welche in einem Punkte des Himmelsgewölbes zusammenzulaufen scheinen, der nach neuern Untersuchungen in der Richtung der magnetischen Inklinations-(Neigungs-) Nadel liegt, da, wo das obere Ende derselben hinweist. Dieser Punkt heißt die Krone des Polarlichts. Man kann daher der Hauptsache nach fünf verschiedene Formen beim P. unterscheiden, je nachdem dasselbe 1) als heller Bogen 2) in Form eines wogenden Bandes, 3) als Strahlen, 4) als Krone erscheint oder 5) als heller Schein über den Himmel verbreitet ist. Die Farbe des Polarlichts ist gewöhnlich weißlich oder gelblich; es gibt aber auch rote Polarlichter, die sehr glänzend werden können, wie z. B. das vom 24. u. 25. Okt. 1870 (Fig. 3). Weyprecht, der sich auf der österreichisch-ungarischen arktischen Expedition zwei Jahre lang (1872-74) unter dem Gürtel größter Häufigkeit der Nordlichter befand, teilt über die Farben des Polarlichts mit, daß ihre Reihenfolge die einzige gesetzmäßige Eigenschaft der Polarlichter war, von welcher niemals eine Ausnahme beobachtet wurde. Nach seiner Beschreibung ist die normale Farbe weiß mit leichter grünlicher Betonung, bei trübem Wetter schmutzig gelb. Bei größerer Intensität des Polarlichts tritt Grün und Rot auf, und zwar bildet bei der häufigsten Form, dem breiten Lichtband, das Rot den untern Saum, dem dann das viel breitere Weiß der Mitte und dann das Grün des obern Saums in ungefähr gleicher Breite wie das untere Rot folgt. Violett tritt häufig bei den nur geringe Lichtintensität besitzenden Erscheinungen auf, welche formlosen, schwach leuchtenden Nebeln gleichen. Das Spektrum des leuchtenden Bogens des Polarlichts besteht nach Angström aus einer einzigen, dem P. charakteristischen hellen Linie zwischen den Fraunhoferschen Linien D und E. Außerdem beobachtete Angström noch drei schwache Streifen nach der Fraunhoferschen Linie F zu. Bei dem prachtvollen P. vom 25. Okt. 1870 beobachtete Zöllner außer der charakteristischen Linie zwischen D und E eine rote Linie, doch erschien diese nur an solchen Stellen des Himmels, die auch dem unbewaffneten Auge stark gerötet erschienen. Im blauen Teil des Spektrums traten nur zuweilen bandartige Streifen auf. Die Linien im Spektrum des Polarlichts stimmen nicht mit dem Spektrum eines verdünnten Gases in den Geißlerschen Röhren überein, während sich nach Angström die charakteristische Polarlichtlinie im Spektrum des Zodiakallichts (s. d.) wiederfindet. Ist das P. überhaupt elektrischer Natur wie die Lichtentwickelung der verdünnten Gase in den Geißlerschen Röhren, so muß es einer so niedrigen Temperatur angehören, wie sie bei diesen nicht gut hergestellt werden kann. Über die Höhe der Polarlichter sind die Ansichten der Naturforscher sehr geteilt. Nach Plücker fängt das elektrische Licht im luftverdünnten Raum an zu verschwinden bei einem Druck von 0,3 mm und ist bei 0,1 mm Druck vollständig fort. Daraus würde folgen, daß das P. bis 9 Meilen hoch sein könnte. Nach Waltenhofen tritt das elektrische Licht noch bei 20,000maliger Verdünnung der Luft auf und könnte deshalb das P. weit über 10 Meilen oberhalb der Erde vorhanden sein. Eine direkte Messung der Höhe des Polarlichts ist in der Art ausgeführt, daß man an verschiedenen Punkten der Erdoberfläche, die womöglich auf demselben Meridian lagen, die Erhebung einzelner charakteristischer Stellen des Polarlichts, wie unteres oder oberes Ende eines bestimmten Lichtstrahls etc., über den Horizont beobachtete und aus der so gefundenen Parallaxe seine Höhe berechnete. Auf diese Weise wurde aus den Beobachtungen über das P. vom 25. Okt. 1870 von Heis in Münster und Flögel in Schleswig abgeleitet, daß die Basis der Strahlen 20-35 Meilen und die Spitzen derselben 70, wahrscheinlich bis über 100 Meilen hoch waren. Zu ähnlichen Resultaten kamen auch Galle und Reimann in Breslau. Nach andern Beobachtungen tritt das P. auch in den untern Luftschichten auf, und namentlich ist dieses in den Polargegenden der Fall, wo z. B. Lemström u. a. das P. unterhalb von Berggipfeln und Wolken sowie von Nebeln und leuchtenden Wolken ausgehend beobachtet haben und es deshalb weniger als 4000 Fuß hoch gewesen sein muß. Aber auch im hohen Norden tritt das P. in größerer Höhe auf, wie z. B. in Wester-Norrland am 19. Febr. 1876 ein prachtvolles P. mit der Corona borealis nach 11 Uhr abends oberhalb der Cirruswolken, also in sehr großer Höhe, gesehen wurde. Daß das P. einen Einfluß auf den Zustand der untern Luftschichten ausübt, geht daraus hervor, daß der Himmel beim Auftreten eines starken Polarlichts, zumal wenn die Krone sich zeigt, in ungewöhnlich schneller Wechselfolge sich bewölkt und wieder aufklärt. Das Verhalten des Polarlichts zu den großen Bewegungen der Atmosphäre, zu den Winden, den Temperatur- und Luftdruckerscheinungen ist noch nicht genauer untersucht und noch nicht genügend festgestellt.

Bei starken Polarlichtern wollen einzelne Beobachter bisweilen ein eigentümliches knisterndes Geräusch, wie das Rascheln eines Seidenstoffs, gehört haben, während von andern die Existenz eines Geräusches ausdrücklich geleugnet wird. In neuester Zeit ist darauf hingewiesen, daß die Entdeckungen von Bleuler und Lehmann in Zürich über "zwangsmäßige Lichtempfindungen durch Schall und verwandte Erscheinungen" (Leipz. 1881) zur Erklärung des von einzelnen Beobachtern gehörten Geräusches dienen können. In ähnlicher Weise, wie solche Photismen oder Farbenvorstellungen durch Schall entstehen, werden nämlich auch bei gewissen Personen zwangsmäßige Schallempfindungen, Phonismen, durch Licht hervorgerufen, und da gleichzeitig mit jedem