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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Shakespeare

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Shakespeare (letzte Lebensjahre; Bildnisse; Dramen).

der Dichter über den eignen mißachteten Schauspielerstand Klage führt. (Vgl. über die Sonette die Schriften von Massey: "Shakespeare's Sonnets", 2. Aufl. 1872, und "The secret drama of Shakespeare's Sonnets", 1888; H. Brown, The Sonnets of S. solved etc., 1870, und Isaac in Herrigs "Archiv", Bd. 61, 1879.) Nach Brown geht die Widmung der Sonette, W. H., nicht auf den Grafen Southampton (Henry Wriothesly), sondern auf den Grafen Pembroke (William Herbert). Abgesehen von diesen wenigen lyrischen Produkten seiner Jugendzeit, hat sich S. lediglich dem Drama gewidmet.

Wie aber der Dramatiker von vornherein über eine poetisch gefeilte Sprache und Metrik verfügte, haben wir bereits gesehen. Indes ist auch im Versbau der Shakespeareschen Schauspiele, dem durch Marlowe ins Drama eingeführten fünffüßigen Iambus, dem sogen. Blankvers, eine nicht unwesentliche Entwickelung zu beobachten, die für die Chronologie der Stücke von Bedeutung ist. Der englische Kritiker Malone hat hierüber eingehende Untersuchungen angestellt; dieselben ergeben folgende Resultate: In den jugendlichen Stücken Shakespeares findet sich eine Vorliebe für den Reim, welche je länger, je mehr nachläßt. Man hat gefunden, daß, während in "Love's labour's lost", unzweifelhaft einem der frühsten der Dramen, die Zahl der gereimten Zeilen diejenige der ungereimten ungefähr im Verhältnis von zwei zu eins übersteigt, im "Hamlet", einem Stück der mittlern Periode, einige 30 ungereimte Zeilen auf eine gereimte kommen, während in "Winter's tale", sicherlich einem der spätesten Stücke, in mehr als 1800 Versen sich nicht ein einziger Reim findet. Es ist ferner bemerkt worden, daß in den ältesten Stücken ein Abschnitt des Sinnes mit dem Ende der Zeile zusammenfällt, so daß meistens am Ende des Verses eine natürliche Pause eintritt. In den spätern Stücken aber ist die Behandlung der Metrik eine freiere. (Vgl. Walker, Shakespeare's versification, Lond. 1854.)

Nachdem S. bereits zwischen 1604 und 1606 als Schauspieler von der Bühne zurückgetreten (daß er Miteigentümer des 1595 eröffneten Globetheaters war, wurde indes neuerdings von Halliwell bestritten), um fortan nur noch als Dichter für dieselbe zu wirken, zog er sich (vielleicht erst 1613 oder 1614) in seine Geburtsstadt zurück, wo er den Rest seines Lebens verbrachte. Seine Vermögensverhältnisse hatten sich sehr günstig gestaltet. Bereits 1597 hatte er eins der ansehnlichsten Häuser in Stratford ("New Place") angekauft; wiederholte neue Erwerbungen von Häusern und Grundstücken dort wie in London folgten, und schon 1608 schätzte man sein jährliches Einkommen auf mindestens 300 Pfd. Sterl., was nach Halliwell einem Wert von 1000 Pfd. Sterl. unsrer Zeit entsprechen würde. In diese seine spätere Lebenszeit fallen unter andern die Dramen: "König Lear", "Antonius und Kleopatra", "Macbeth" und (wohl als seine letzten Dichtungen) "Der Sturm" sowie "Wintermärchen". Nicht lange sollte sich der Dichter der behaglichen Zurückgezogenheit in seiner Vaterstadt erfreuen.

Nachdem er im März 1616 sein ausführliches Testament entworfen, ereilte ihn (wahrscheinlich plötzlich, ohne vorausgegangene Krankheit) der Tod 23. April 1616, nach Vollendung des 52. Lebensjahrs. Am 25. April wurde er in der Kirche zu Stratford an der Nordseite beigesetzt; er selbst soll seine Grabschrift verfaßt haben. Auch wurde einige Jahre später seine steinerne bemalte Büste dort aufgestellt, die noch vorhanden ist. Seine Witwe und seine an den Arzt Dr. Hall verheiratet gewesene Tochter Susanna liegen an seiner Seite bestattet. Mit der Tochter der letztern, Elisabeth, erlosch 1670 die Familie des Dichters.

Von angeblichen Bildnissen Shakespeares sind besonders zwei zu nennen: das sogen. Chandosporträt, das ursprünglich dem Schauspieler Burbage (s. d.) gehört haben soll und später in den Besitz des Herzogs von Chandos kam (der verbreitetste Typus), und ein Ölbild von Corn. Jansen, das sich im Besitz des Herzogs von Somerset befindet (vgl. Boaden, Inquiry into the authenticity of various portraits of S., Lond. 1824). Eine Bildsäule des Dichters (von Kent und Scheemakers) steht seit 1741 im "Dichterwinkel" der Westminsterabtei zu London; eine andre (von Ward) wurde ihm neuerdings im Zentralpark zu New York errichtet.

Shakespeares Dramen.

Während der ersten Epoche seines dramatischen Schaffens erscheint S., wie bereits angedeutet, noch fast ganz auf den ästhetischen Bahnen, die seine unmittelbaren Vorgänger und die gleichzeitigen Dichter Englands auf demselben Kunstgebiet innehielten. Die frühsten Stücke, welche unter seinem Namen gehen, sind sogar fast sämtlich nur Bearbeitungen älterer Dramen. Bezüglich einzelner dahin zu rechnender Dichtungen herrscht noch heute Streit darüber, ob überhaupt Shakespeares Hand damit zu schaffen gehabt hat, zumeist über "Titus Andronicus", der, wenn er von S. herrührt, jedenfalls eine seiner frühsten Arbeiten ist. Das Urteil der englischen Kritiker Collier und Knight schreibt das Stück unbedingt S. zu; Brake, Coleridge, Ingleby, Dyce verwerfen es als völlig unecht. Von den deutschen Shakespeareforschern teilen unter andern Gervinus und Kreyßig das Urteil der erstern. In der That aber wird trotz der unleugbaren Roheit und des geschmackwidrigen Bombastes der Diktion der unbefangene Blick, auch abgesehen von dem Zeugnis Meres', der 1598 "Titus Andronicus" als ein Stück Shakespeares nennt (s. oben), Spuren des Shakespeareschen Genius in dem Stück entdecken, welche dessen Ursprung unzweifelhaft machen. Noch freilich fehlt in der Charakteristik die Feinheit der Nüancen, welche uns in den spätern Dramen Shakespeares entzückt; noch verfährt der Dichter bezüglich der dramatischen Wahrscheinlichkeit mit einer Willkür, die bei ihm später in solchem Maß nur selten wieder anzutreffen ist; aber inmitten dieser Mängel, inmitten der Überladung des faktischen Stoffes, der Verwechselung des Gräßlichen mit dem Tragischen ragen nicht wenige Einzelheiten an dichterischem Wert weit über das, was die gleichzeitigen Dramen andrer Verfasser bieten, hervor.

Im "Perikles" sehen einige nur die stellenweise Umgestaltung einer ältern Dichtung durch Shakespeares Hand. Dryden bezeichnete das Stück 1675 als das erste des Dichters. Daß es nicht kurz vor der Zeit, in welcher es zuerst unter Shakespeares Namen gedruckt erschien (1609), verfaßt, daß es vielmehr schwerlich viel später als 1590 entstanden ist, lehren innere Gründe. Jedenfalls zeigt es Shakespeares Hauptkunst, die Umgestaltung epischer Erzählung in dramatische Handlung, noch auf niedriger Stufe. Mit aufdringlicher Deutlichkeit spricht aus dem Stück eine ziemlich triviale sittliche Lehre; statt einheitsvoller Handlung bietet es nur eine dürftige Einheit in der verherrlichten Person. Dennoch aber reckt sich, wo der Stoff dazu angethan, die Klaue des Löwen hervor, und vorzugsweise die Szenen, wo Perikles und Marina spielen, atmen den echten Geist Shakespeares.

Auch in Hinsicht auf die Echtheit des ersten Stückes der Trilogie, welche die Reihe der sogen. Historien