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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Wirbeltiere

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Wirbeltiere (Fortpflanzung, paläontologische Entwickelung, Einteilung).

aus verläuft alsdann das arteriell gewordene Blut in einer unterhalb der Wirbelsäule gelegenen großen Arterie nach hinten. Sowie jedoch statt der Kiemen oder mit ihnen zugleich Lungen auftreten, geht von diesen aus ein Teil des arteriell gewordenen Bluts in das Herz zurück, so daß dieses von da ab nicht mehr rein venöses Blut führt. Zugleich wird der Bau des Herzens dadurch kompliziert, daß statt einer Vorkammer deren zwei entstehen. Bei Vögeln und Säugetieren zerfällt dann auch noch die Herzkammer in zwei völlig getrennte Teile, und so dient alsdann ein und dasselbe Organ zur Beförderung des venösen Bluts in die Lungen und des arteriell gewordenen, inzwischen zum Herzen zurückgekehrten in den Körper (s. Herz). Im übrigen besteht bei allen Wirbeltieren (mit Ausnahme von Amphioxus und vielleicht auch der Fische) ein besonderes Lymphgefäßsystem. Zur Ausscheidung einiger im Körper erzeugten Produkte des Stoffwechsels dienen die Nieren, welche, stets unterhalb der Wirbelsäule gelegen, in ihrer einfachsten Form zwei lange Kanäle darstellen und vorn mit der Leibeshöhle, hinten mit der Außenwelt in Verbindung stehen. Bei den höchsten Gruppen sind sie dagegen zwei runde Organe von sehr zusammengesetztem Bau und entleeren ihre Flüssigkeit, den Harn, in eine besondere Harnblase, aus welcher derselbe dann weiter nach außen befördert wird. Vielfach sind sehr nahe Beziehungen zwischen den Ausführungsgängen für den Harn und für die Geschlechtsprodukte vorhanden. Die Fortpflanzung ist stets geschlechtlich; Zwitter sind mit Ausnahme weniger Fische nicht bekannt. Die Geschlechtsdrüsen selbst liegen zu Paaren angeordnet in der Leibeshöhle; Eier und Samen gelangen entweder direkt in die Leibeshöhle und von da durch einen Genitalporus nach außen, oder treten in besondere Gänge ein, welche teils in den Enddarm münden, teils sich mit den Harngängen vereinigen. Bei vielen höhern Formen, namentlich den Säugetieren, sind außerdem noch Drüsen der verschiedensten Art zur Absonderung von Stoffen vorhanden, welche sowohl dem Samen oder den Eiern zugemischt als auch sonst zum Zweck der Fortpflanzung verwendet werden. Eine wirkliche Begattung, bei welcher der Same in den Körper des weiblichen Tiers gelangt, hat durchaus nicht immer statt, vielmehr geschieht, namentlich bei den Fischen, die Vermischung von Eiern und Samen häufig im Wasser. Die Eier selbst haben bei denjenigen Tieren, welche sie ablegen, meistenteils eine besondere Eiweißschicht, die zur Ernährung des Embryos dient, sind dagegen bei den Säugetieren äußerst klein und entwickeln sich bei diesen im Leib der Mutter (im Uterus) weiter. Die Samenfäden bohren sich durch schlängelnde Bewegungen in die Eier und befruchten sie, indem sie mit der Substanz derselben verschmelzen; es erfolgt dann die Bildung des Embryos. Letzterer liegt bei den Fischen und Amphibien offen im Ei da, während er bei den übrigen Wirbeltieren von zwei Häuten, Allantois und Amnion, umhüllt wird. Zuerst entsteht von ihm der Rückenteil mit der Anlage des Nervensystems und der Wirbel; später bildet sich der zuerst flache Embryo zu einem Rohr um, das sich auf der Bauchseite allmählich schließt, und an dem die Extremitäten hervorsprossen. Eine Metamorphose kommt nur bei wenigen Amphibien vor und führt zum Verlust der Kiemen, auch wohl des Schwanzes etc., für welchen die Beine eintreten. Ersatz ganzer Körperteile ist gleichfalls nur bei den niedern Gruppen möglich. Die paläontologische Entwickelung verläuft ganz streng von den niedern zu den höhern Formen; es treten also zuerst die Fische und zwar schon im Silur auf, und zu ihnen gesellen sich dann, während sie auch in den jüngsten Erdschichten noch reichlich vorkommen, der Reihe nach die Amphibien (Devon und Kohle), Reptilien (Perm), Vögel und Säugetiere (Fußspuren von beiden schon in der Trias). Eine Anzahl der interessantesten Übergangsformen zwischen solchen Klassen, welche in der Gegenwart durch eine weite Kluft getrennt sind, zeigen die allmähliche Entwickelung an, welche überdies sich in gleicher Weise während des Embryonallebens kundgibt. Während hierin die Forscher im allgemeinen einig sind, herrschen bei ihnen über die Verbindung der W. mit den Wirbellosen, ganz abgesehen von solchen, die überhaupt eine Abstammung verschiedener Tiergruppen voneinander leugnen, zur Zeit im wesentlichen zwei Ansichten. Nach der einen stammen die W. von den Manteltieren oder Tunikaten (s. d.) in der Art ab, daß eine längst ausgestorbene und wegen ihrer Weichheit auch nicht versteinerungsfähige Urform sowohl den heutigen Manteltieren als auch den einfachsten Wirbeltieren den Ursprung gab. Den Beweis hierfür sucht man darin, daß die Entwickelung der Ascidien (einer Gruppe der Manteltiere) mit der des Amphioxus, welcher allgemein als das niederste Wirbeltier betrachtet wird, überraschende Ähnlichkeit zeigt (s. Amphioxus), so daß eine gemeinsame Abstammung beider Tiergruppen nicht bezweifelt werden kann. Letztern Satz nehmen auch die Gegner als erwiesen an, betrachten jedoch den Amphioxus und die Tunikaten als rückgebildete, von Fischen oder wenigstens fischähnlichen Wesen abstammende Tiere und behaupten ihrerseits den Zusammenhang der W. mit Gliederwürmern. Auch hierfür sprechen Thatsachen aus der Entwickelungsgeschichte, reichen jedoch zu einem völligen Beweis noch nicht aus.

Die Einteilung der W. geschah früher gemäß den schon von Linné aufgestellten, aber bereits bei Aristoteles erkennbaren Grundsätzen allgemein in der Art, daß man die vier großen Gruppen der Säugetiere und Vögel, der Amphibien und Fische unterschied und die ersten beiden als Warmblüter den beiden letzten als Kaltblütern gegenüberstellte. Später wurden die Reptilien von den Amphibien abgezweigt, und so erhielt man die fünf bekannten Klassen, welche jedoch neuerdings auch wohl zu dreien, nämlich Säugetiere, eidechsenähnliche W. (Vögel und Reptilien) und fischähnliche W. (Amphibien und Fische), zusammengezogen werden. Unter den Fischen sind jedoch einige niedere Formen derart von den übrigen verschieden, daß sie eigne Gruppen für sich bilden müssen. Hiernach teilt man die W. am besten in:

^[Liste]

I. Schädellose (Acrania): Leptokardier (s. d.).

II. Schädeltragende (Craniota).

A. Kieferlose (Cyclostomata): Neunaugen und Verwandte, gewöhnlich als niederste Fische betrachtet.

B. Kiefertragende (Gnathostomata).

a) Kiementragende (Branchiata) oder Amnionlose (Anamnia). Embryo ohne Häute (Allantois und Amnion). Atmen in der Jugend stets durch Kiemen, welche später zum Teil durch Lungen ersetzt werben. Kein Brustbein.

1. Fische (Pisces). 2. Amphibien (Amphibia).

b) Kiemenlose (Abranchiata) oder Amniontragende (Amniota). Embryo mit Häuten (Allantois und Amnion). Atmen nie durch Kiemen. Meist mit Brustbein.

1. Reptilien (Reptilia). 2. Vögel (Aves). 3. Säugetiere (Mammalia).

Vgl. Bronn, Klassen und Ordnungen des Tierreichs in Wort und Bild (Leipz., im Erscheinen begriffen); Milne-Edwards, Leçons sur la physio-^[folgende Seite]