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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Bakterien

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Bakterien (Entwickelung, Wirkungen).

wir nicht. Thatsächlich hat man schon in Schliffen aus den Wurzeln fossiler Koniferen und in kariösen Zähnen ägyptischer Mumien B. gefunden. Sie müssen auch schon bestanden haben, solange es organisierte lebende Materie überhaupt gegeben hat. Heute wissen wir, daß sich B. auf der ganzen Bodenoberfläche der Erde, in jedem Wasser und in der Luft suspendiert finden, daß sie in allen den Nahrungsmitteln, welche wir in rohem Zustande genießen, in großer Menge lebend vorhanden sind, daß unsre Mundhöhle, unser Darmkanal unzählige B. beherbergen, und daß sich auch auf unsrer Körperoberfläche und in unsrer Kleidung stets zahlreiche B. befinden.

Die meisten Bakterienarten sind in ihrem Ernährungsbedürfnis außerordentlich anspruchslos; alle aber bedürfen zu ihrer Weiterentwickelung einen gewissen Wassergehalt des Nährsubstrats und eine gewisse Menge von Eiweiß und Kohlehydraten, doch kann diese für viele Arten äußerst gering sein. So findet selbst im destillierten Wasser eine rasche und lebhafte Vermehrung mancher B. statt. Selbstverständlich steigert sich aber die Bakterienentwickelung nach Zahl und Mannigfaltigkeit der Arten in Eiweiß oder andre organische Stoffe enthaltenden Flüssigkeiten, z. B. in Bouillon, Zuckerlösungen, Aufgüssen von Pflanzen, im Harn und andern normalen oder krankhaften Exkreten. Außer der Nahrung bedürfen die B. jedoch noch einer gewissen Temperatur, welche für die verschiedenen B. verschieden ist, aber im allgemeinen zwischen 5 und 45° liegt; doch beginnen einige Arten erst zwischen 50 und 70° zu wachsen. Anderseits ist das Aufhören des Wachstums unterhalb 5° nicht gleichbedeutend mit dem Tode der Individuen; man findet vielmehr selbst im Eis, ja im Gletschereis, reichliche Bakterienkeime, welche ihre Lebensfähigkeit durch ihre Vermehrung alsbald darthun, wenn man sie in geeignete Temperatur- und Ernährungsverhältnisse bringt. Gewisse Arten sind indessen in ihrer Entwickelungsfähigkeit an viel engere Temperaturgrenzen gebunden, z. B. die auf das streng parasitische Leben im menschlichen oder tierischen Körper angewiesenen Tuberkel- und Rotzbacillen. Des Luftsauerstoffs bedürfen die meisten Bakterienarten mehr oder weniger (Aeroben), doch gibt es auch solche, welche denselben entbehren können (fakultative Anaeroben), oder welche nur bei Entfernung allen Sauerstoffs gedeihen (obligate Anaeroben). Das Licht ist im allgemeinen den B. nicht förderlich; es mehren sich in neuester Zeit die Beobachtungen, welche ergeben, daß manche B. unter der Einwirkung direkten Sonnenlichts rasch absterben.

So klein der Kreis der Lebensvorgänge der Bakterienzelle auch ist, so gewaltige Wirkungen bringen die B. in ihrer Gesamtheit durch ihre ungeheure Vermehrungsfähigkeit hervor, u. mehrere der wichtigsten Vorgänge im Haushalt der Natur, in der Land- und Hauswirtschaft werden durch B. eingeleitet, gefördert, beendet oder auch durch andre Arten derselben gestört und vernichtet. Auch für unsern Körper haben gewisse, unsern Darm bewohnende B. ohne Zweifel wichtige Funktionen beim Verdauungsprozeß zu übernehmen, anderseits ist die schädliche Wirkung, welche die parasitischen B. als Erreger der gefürchtetsten Infektionskrankheiten ausüben, von größtem Belang für unser Leben Ihren hauptsächlichsten Lebensgewohnheiten und Wirkungen nach trennt man die B. in Saprophyten (s. d., Bd. 14, S. 318) und Parasiten. Während die erstern auf beliebigem organischen Nährsubstrat in der Natur vorkommen und mit Leichtigkeit auf solchem gezüchtet werden können, sind die letztern Bewohner des lebenden menschlichen oder tierischen Körpers, auf dessen Kosten sie leben und sich vermehren; die Erscheinungen, unter welchen dies von statten geht, bedingen das Bild der verschiedenen Infektionskrankheiten. Unter den parasitischen B. unterscheidet man noch fakultative und obligatorische Parasiten; die fakultativen können sich auch außerhalb des Tierkörpers vermehren (z. B. die Erreger von Cholera, Typhus, Milzbrand), die obligatorischen sind völlig auf das parasitische Leben in ihrem Wirte angewiesen, und nur durch ganz besondere Kunstgriffe und Methoden gelingt es, einige Arten derselben künstlich zu züchten (z. B. Tuberkelbacillen, Rotzbacillen). Es ist einleuchtend, daß die Vermehrung der saprophytischen B. nicht ohne Rückwirkung auf die zersetzungsfähige Substanz, welche denselben zur Nahrung dient, bleiben kann, denn einmal werden derselben gewisse Stoffe entzogen, wodurch schon eine Spaltung der chemischen Bestandteile des Nährmaterials bedingt wird, und zweitens gehen die Stoffwechselprodukte der B., die zum Teil zu den Alkaloiden gehören, in das Nährmaterial über und können weitere chemische Verwandlungen und Wechselwirkungen herbeiführen. Bei der Züchtung der B. wird z. B. die hierzu verwendete Nährgelatine von gewissen Bakterienarten verflüssigt (peptonisiert), von andern nicht, was häufig als willkommenes Unterscheidungsmerkmal benutzt wird. Auf solchen Vorgängen beruhen die verschiedensten, oft überaus komplizierten Vorgänge der Gärung und Fäulnis. Von großer Bedeutung ist für den Verlauf jeder Gärung die spezielle Art der bei derselben zur Entwickelung gelangenden Mikroorganismen, und in der Gärungsindustrie hängt das ganze Gelingen des herzustellenden Nahrungs- oder Genußmittels davon ab, ob die richtigen Arten von Gärungserregern zur Entwickelung kommen. Es ist durch die zahlreichen und gründlichen Untersuchungen der berufensten Forscher, wie Pasteur, Cohn, Brefeld u. a., als erwiesen zu betrachten, daß die Mikroorganismen die alleinige Ursache jeder Gärung sind, und daß der Gärungsvorgang als eine physiologische Leistung der betreffenden Mikroorganismen zu betrachten ist. Die alkoholischen Gärungen werden durch gewisse Hefearten, die sauern Gärungen (Milchsäure-, Buttersäure-, Essigsäuregärung) durch bestimmte B. hervorgerufen. Schon hieraus ist zu ersehen, wie unberufene Gärungserreger die beabsichtigte alkoholische Gärung (z. B. bei Bier oder Wein) stören und neben ihr eine saure Gärung herbeiführen können. Die Verwendung von Hefereinkulturen ist daher ein Ideal der modernen Brauerei. Aber so einfach, wie diese Sache scheinen mag, ist sie nicht; man hat, besonders bei noch kompliziertern Gärungsvorgängen (Käsebereitung), gefunden, daß in den verschiedenen Stadien der Vergärung nicht bloß eine einzige Art von Hefen oder B. den richtigen Gärungsverlauf hervorruft, sondern daß zwei oder mehrere Arten spezifischer Mikroorganismen entweder gleichzeitig auf das zu vergärende Material einwirken müssen (Symbiose), oder daß eine Art der andern zu folgen hat (Metabiose), wenn die Gärung gelingen, der Käse den gewollten Geschmack und die richtige Reife erhalten soll. Auch die Fäulnis, die Zerlegung stickstoffhaltiger Substanzen, vorzugsweise der Eiweißkörper, wird ausschließlich durch B. hervorgerufen; es bilden sich bei dieser Spaltung der Eiweißkörper durch B. stinkende Gase sowie gewisse Alkaloide, über deren wahre Beschaffenheit man erst in jüngster Zeit die wichtigsten Aufschlüsse erhalten hat. Das Ende der durch die B. be-^[folgende Seite]