Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

259

Englische Litteratur 1890-91 (Verschiedenes)

Eduard Nopers »By track and trail through Cananda« anschließen. Lady Dufferin, durch frühere Arbeiten günstig bekannt, veröffentlicht »My Canadian Journal«, welches sich über die sechs Jahre erstreckt, während welcher ihr Gatte dort Generalstatthalter war. »The Pacific Coast scenic tour, from Southern California to Alasca, the Canadian Pacific Railway, Yellowstone Park and the Grand Cañon« von Henry Finck ist durch seinen Gegenstand anziehend. Derselbe Verfasser hat »Spain and Marocco« beschrieben, ohne viel von Marokko gesehen zu haben. In »Rounf the Calendar in Portugal« gibt Oswald Crawfurd, früher Konsul dort, viel Anziehendes über Sitten und Volkskunde jenes Landes.

Aus Asien haben wir noch ein eingehendes Werk über »The Philippine Islands« von Foreman und zwei aus verschiedenen Gründen anziehende Werke über Japan. Basil Hall Chamberlain bekleidet eine Professur in der kaiserlichen Universität von Japan; sein Buch »Things Japanese« erscheint zugleich in London und Tokio und ist zum großen Teil eine sehr wertvolle Kompilation von zuständiger Hand. Ganz andrer Natur ist das Werk eines Japaners, Manjiro Inagaki, über »Japan and the Pacific, and a Japanese view of the Eastern Question« In sehr gutem Englisch hat sich der Verfasser mit notwendig unvollständigen Kenntnissen der europäischen Diplomatie auf das heikle Gebiet der orientalischen Frage gewagt und dabei und in seiner Kritik von Palmerston, Gladstone, Salisbury u. a. (sogar die frühere schleswig-holsteinische Frage wird berührt!) nicht viel mehr als Verworrenheit zu Tage gefördert. Dagegen ist seine Übersicht der außerordentlichen Fortschritte, welche Japan in unserm Zeitalter in materieller Beziehung gemacht hat, allerdings wertvoll. Aus der Südsee kommen uns zwei mehr interessante als erfreuliche Bücher. Codington hat 24 Jahre als Missionar in Melanesien gewirkt, hauptsächlich auf der Norfolkinsel, und seine Beschäftigung hat ihn nicht zu einer heitern oder hoffnungsvollen Anschauung der Dinge geführt. Aber Wissenswertes führt er vor in »The Melanesians: studies in their anthropology and folk-lore«.

Noch weniger heiter ist W. D. Pitcairns Buch, das aber als das lesenswerteste über Neuguinea gilt, übrigens sich auch über Nord-Queensland verbreitet. Die Auffassung, welche »Two years among the savages of New Guinea« durchzieht, läßt sich schon in dem Titel ahnen und gibt sich hinreichend in der folgenden Stelle kund: »Die herabgekommenen Ureinwohner können sich nicht zu regelmäßiger Arbeit irgend einer Art erheben, und kein Weißer kann unter dem Brande der Sommersonne arbeiten, auch vermöchte der Pflanzer nicht den Lohn zu erschwingen, der jenen anziehen könnte. Sollte die Regierung bei ihrem Verbote der Einführung von Schwarzen stehen bleiben, so müssen die Zuckerpflanzungen aufgegeben und die bereits darauf verwendeten Kapitalien geopfert werden.« Ein viel freundlicheres Bild von einer andern, der Arbeit ebenfalls nicht besonders ergebenen Bevölkerung erhalten wir durch Gray Hill in seinem Buche »With the Bedouins«. Dies Buch mag uns aus dem Lehrhaften heraus in die bloß unterhaltenden Reisebilder führen.

Auf diesem Felde finden wir zwei Bücher, beide nach dem Osten Europas weisend, beide von jungen Frauenm lebhaftestem, heiterstem Sinn geschrieben und nur gelegenheitlich und kaum absichtlich den Kreis unsrer Kenntnisse erweiternd. Es sind: »A summer in Kieff«

^[Spaltenwechsel]

von J. C. Morris und »A girl in the Karpathians« von Mente Muriel Dowie. Die Heiterkeit und den Frohsinn, mit welchen die erstere ihre Reise durch Südrußland und dann ihren Sommeraufenthalt in Kiew erzählt, teilt die letztere völlig; nur fügt sie ein gut Teil Extravaganz dazu, die bisweilen in Erstaunen setzt, über die man ihr aber kaum böse sein kann. Ihrer Unterröcke und andrer Beschwerlichkeiten der weiblichen Zivilisation hat sie sich entledigt, sie hat »den Mann niemals um seine körperliche Bildung beneidet, wohl aber um die viel größere Bequemlichkeit seiner Kleider«, und die letztern hat sie denn auch angelegt. Nach Männergesellschaft verlangt sie auch nicht, überhaupt kann sie eine Zeitlang alle Menschen entbehren; sie ist ganz zufrieden »mit der Gesellschaft von Viehzeug«. Darunter lassen sich wohl auch die ruthenischen Bauern begreifen, die »immer kriechend und von Zeit zu Zeit betrunken sind«. Wenn die Berge der Karpathen als schön erkannt werden, so sind dagegen die mit Lebhaftigkeit beschriebenen Dörfer nicht ohne große Schattenseiten. Sie erzählt uns frischweg, aber ohne Frivolität, alles - bis auf ihre Flohjagden und ihre erfrischenden Bäder im ersten besten Bach oder Fluß. Abenteuer hat die junge Dame eigentlich nicht erlebt, und doch ist keine langweilige Seite in dem Buche.

Verschiedenes. Übersetzungen.

Obwohl natürlich nicht zur englischen Litteratur zählend, darf doch als ein Bestandteil litterarischer Bethätigung in England die Entdeckung einer Anzahl wichtiger griechischer Handschriften erwähnt werden, die durch Agenten in Ägypten für das Britische Museum erworben wurden, und deren Entzifferung durch dessen Beamte ungeahnte Schätze ans Licht brachte. Es ist dies also zunächst das bisher verlorne Buch des Aristoteles (s. d.) über die athenische Verfassung; sodann eine Anzahl metrischer Stücke, unter denen besonders die reizenden, realistischen Idylle des Herodas oder Herondas (beide Lesarten sind möglich) sich auszeichnen. Dieser spätgriechische Dichter war bisher nur aus einigen Citaten bekannt; er schließt sich an Theokrit an. Auf dem Gebiete der Psychologie hat J. F. Nesbitt mit »The insanity of genius« einiges Aufsehen gemacht und ernste und spöttische Besprechungen hervorgerufen.

Reichlich fließt die Quelle sozialistischer Regungen. Dahin gehört vor allem des Dichters William Morris »News from Nowhere«, eine Utopie, wie es deren schon so viele gegeben, doch diesmal ein idealschönes London dem allerdings nur teilweise schönen der Wirklichkeit gegenüberstellend. Wissenschaftlicher ist William Graham in dem Werk »Socialism, old and new«, worin der Verfasser, der früher in »The social problem« mehr auf orthodox-ökonomischer Grundlage gesprochen, dem Sozialismus einige Zugeständnisse macht, aber auch zeigt, daß »in seinem wesentlichen Teile der Sozialismus nichts Neues, sondern oft vorher erschienen und jeweils durch ähnliche Ursachen hervorgebracht ist, während in seiner am häufigsten vorkommenden Form, dem Kommunismus, die allgemeine Erfahrung der Menschheit ihn immer zurückgewiesen hat, als der Durchschnittsnatur des Menschen zuwider«. Im vorigen Jahr hatten wir William Booths, des sogen. Generals der Heilsarmee, »In darkest England, and the way out of it« zu erwähnen, mit dem er sich seither richtig die 100,000 Pfd. Sterl. zusammeugebettelt, die er für wohlthätige Zwecke in seiner lärmenden Art verlangte. Mit ihm darf Charles Booth nicht verwechselt werden, der, schon durch frühere Arbeiten bekannt,