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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Arbeiterabteilungen; Arbeiterausschüsse; Arbeiterbildungsvereine

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Arbeiterabteilungen - Arbeiterbildungsvereine

freien Bürgern betrieben. Die gewerbliche Bevölkerung, welche in den Zünften (s. d.) Förderung und Schutz fand, zerfiel in Meister, Knechte (Gesellen) und Lehrlinge. Die unter dieser Gewerbeverfassung erstarkende gewerbliche Arbeit bildete eine Art "Werkstattverhältnis" aus, das in mehr als einer Beziehung Meister und A. miteinander verband; ein Gegensatz zwischen kapitalbesitzenden Unternehmern und kapitallosen Lohnarbeitern war noch nicht vorhanden; für alle bestand die Möglichkeit, durch eigene Kraft zur selbständigen Unternehmerstellung zu gelangen. Dies änderte sich wesentlich, als mit der Entwicklung der Großindustrie die alten Zunftschranken fielen, als an die Stelle des zünftigen Gewerberechts die Gewerbefreiheit (s. d.) trat, welche das frühere Herrschafts- und Dienstverhältnis in ein reines Vertragsverhältnis gleichberechtigter Personen umwandelte und die Freiheit und Selbständigkeit der gewerblichen Lohnarbeiter rechtlich anerkannte. Die moderne Fabrikindustrie mit Maschinenbetrieb und weitgehender Arbeitsteilung schuf aber nicht nur eine neue mit der Ausdehnung des Großbetriebes zunehmende Arbeiterklasse, sondern führte auch zu einer vollständigen Umgestaltung der wirtschaftlichen und socialen Lage der A. Das alte "Werkstattverhältnis" schwand. Die maschinenmäßig betriebene Industrie stellte Arbeitgeber und A. als Fremde einander gegenüber, die Kluft zwischen Arbeit und Kapital erweiterte sich mehr und mehr, und immer schwieriger wurde es für den kapitallosen A., sich zum selbständigen Unternehmer emporzuringen. Die große Fabrikindustrie strebte nach einer stets weitern Ausdehnung des Marktes und mußte mithin bemüht sein, die Waren immer billiger zu verkaufen. Ein möglichst niedriger Preis der Waren ließ sich aber nur dann erzielen, wenn man den Arbeitslohn so tief als nur irgend angängig herabsetzte und die billigsten Arbeitskräfte, Kinder und Frauen, in immer steigendem Maße heranzog. Die vielfach nachteilige Ausnutzung der verschiedenartigen Arbeitskräfte durch die Unternehmer zwang dann allmählich den Staat, der Freiheit des Arbeitsvertrages gewisse Grenzen zu ziehen. (S. Fabrikgesetzgebung.) Somit versteht man gegenwärtig unter A. etwas ganz anderes als vor hundert oder noch mehr Jahren. Erst die moderne Großindustrie hat den heutigen Arbeiterstand geschaffen, und erst auf dem Boden der kapitalistischen Gütererzeugung sind die mannigfachen Fragen erwachsen, welche sich auf die Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen beziehen. - Vgl. Statistik des Deutschen Reichs (Neue Folge, Bd. 2, Berl. 1884; Bd. 5, ebd. 1885; Bd. 6, 2 Tle., ebd. 1885 - 80); Amtliche Mitteilungen aus den Jahresberichten der mit Beaufsichtigung der Fabriken betrauten Beamten (Berlin, seit 1879); Bitzer, Arbeit und Kapital (Stuttg. 1871); L. Felix, Die A. und die Gesellschaft (Lpz. 1874); Jules Simon, Le travail (Par. 1868).

Arbeiterabteilungen sind im Deutschen Reich militär. Formationen, welche vorzugsweise aus Mannschaften bestehen, die unwürdig sind, in der Truppe zu dienen; sie sind zur Ausführung von Arbeiten für militär. Zwecke bestimmt. Eingestellt werden z. B. Personen, welche wegen Selbstverstümmelung bestraft sind, und Gemeine der zweiten Klasse des Soldatenstandes, bei denen Disziplinarstrafen nichts gefruchtet haben. A. befinden sich in Königsberg i. Pr., Magdeburg, Koblenz, Königstein und Oberhaus bei Passau. Die preußischen A. sind dem Inspecteur der militär. Strafanstalten unterstellt. Nähere Bestimmungen finden sich in der Dienstvorschrift für die A. vom 31. Aug. 1881. Frankreich hat dafür Strafcompagnien, Rußland die Besserungscompagnien.

Arbeiterausschüsse, auch Fabrikräte und Ältestenkollegien genannt, die Vertretungen der Arbeiter innerhalb der einzelnen größern Unternehmungen, einerseits als vermittelndes Organ zwischen dem Arbeitgeber und den Arbeitern, andererseits als Verwaltungsorgan, einstweilen seit Mitte der siebziger Jahre nur in Deutschland nachweisbar. Gewöhnlich werden in Unternehmungen mit etwa 50 Arbeitern drei, in solchen mit etwa 100 Arbeitern fünf, bei großen Betrieben für jedes folgende Hundert noch etwa je zwei Vertreter in die A. gewählt. Die zu errichtenden Krankenkassen, die Wohlfahrtseinrichtungen, der Erlaß von Fabrikordnungen, die Handhabung der Strafjustiz und Disciplin boten die Veranlassung zu ihrer Errichtung. Die Wahl der Mitglieder überläßt der Unternehmer den Arbeitern, muß aber Sorge tragen, daß die Gesamtheit der Arbeiter Vertretung finde. Bis jetzt bestehen die Ausschüsse nur aus männlichen Arbeitern. Alle Einrichtungen der Fabrik, bei denen die Arbeiter mit beteiligt sind, sollen hier von ihnen gemeinsam mit dem Unternehmer erörtert werden. Gewisse Fragen, wie z. B. Dauer der Arbeitszeit und Lohnhöhe, bleiben in der Regel von Besprechungen ausgeschlossen. Dagegen sind die Art und Weise der Löhnung, die Löhnungstermine u. s. w. sehr dankbare Gegenstände gemeinsamer Beratung. Die Zahl der Betriebe, die bis Ende Aug. 1890 die A. eingeführt hatten, war etwa 40. Normalstatuten für Ä. sind vom Linksrheinischen Verein für Gemeinwohl, vom Verein anhält. Arbeitgeber, vom Verein der Arbeitgeber des Bezirks Mittweida, in Österreich vom Industriellen Klub in Wien aufgestellt worden. Die Gewerbeordnungsnovelle von 1891 sucht in den §§. 134d, 134f und 134h ihre Errichtung zu fördern. In Österreich ist man über das Stadium des Projektes noch nicht hinausgekommen. Ein 1891 von der Regierung dem Abgeordnetenhaus vorgelegter Entwurf, der die obligatorische Einführung von A. bezweckte, fand keinen Anklang. Ein neuer Entwurf (1894) enthält daher nur Normativbedingungen für den Fall einer derartigen Organisation. - Vgl. Böhmert, eine Untersuchung über A. (im "Arbeiterfreund", 1889); Schriften des Vereins für Socialpolitik, Heft 46; Archiv für sociale Gesetzgebung, Bd. 5, S. 154, und Bd. 7, S. 800.

Arbeiterbildungsvereine, Vereine, die den der Schule entwachsenen Arbeitern Anregung und Gelegenheit zur geistigen Fortbildung bieten und sie mit den Fortschritten des Kulturlebens in Zusammenhang erhalten. Zugleich können in diesen Vereinen die besondern Interessen des Arbeiterstandes eine angemessene Förderung finden. Die Vereine sind größtenteils aus dem Gemeinsinn der gebildeten Klassen hervorgegangen, doch fehlt es in Deutschland auch nicht an solchen, welche von der "Bourgeoisie" unabhängig sein wollten und eine mehr oder weniger socialdemokratische Färbung annahmen. Die ältern Vereine in Deutschland sind oder waren ursprünglich wesentlich für Handwerksgesellen bestimmt; es sind dies die sog. Gesellen-, Handwerker- und Jünglingsvereine (s. die einzelnen Artikel). Viele solcher Anstalten wurden sowohl von evang. als röm.-kath. Seite begründet. Die meisten