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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Bleitannat; Bleiverbindungen; Bleivergiftung

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Bleitannat - Bleivergiftung

Explosion ein. Es findet wegen dieser Eigenschaft Verwendung in der Zündwarenfabrikation. Das B. für technische Zwecke kostet 90 M. pro 100 kg.

Bleitannat ist gerbsaure Bleisalbe, s. Bleisalbe.

Bleiverbindungen, s. Blei (S. 109a).

Bleivergiftung, Bleikrankheit, Malerkrankheit, Saturnismus. Das Blei ist eins der schlimmsten Gifte, und die Vergiftungen mit demselben sind wegen der vielfachen Verwendung dieses Metalls nicht selten. Am häufigsten ist die Vergiftung mit Bleiweiß, ferner mit Bleiglätte und Mennige; doch kann jede Bleiverbindung sowie die Einführung von metallischem Blei in den Körper Vergiftung zur Folge haben. Die letztere kommt dadurch zu stande, daß das in den Körper eingeführte Blei sich außerordentlich leicht mit den Eiweißkörpern des Organismus verbindet, als Bleialbuminat in die Blutmasse aufgenommen und dann in den verschiedensten Organen (Hirn, Leber, Nieren u. s. w.) deponiert wird, wodurch es zu vielfachen Störungen der normalen Funktionen kommt. Am gefährlichsten ist die Einatmung bleihaltigen Staubes (in Bleihütten, Silberhütten, Bleifabriken, bei Verpackung von Bleipräparaten u. s. w.). Hierbei gelangt der bleihaltige Stoff teils in die Atmungswege, teils mischt er sich dem Speichel bei und wird mit diesem verschluckt. Daher muß bei jenen Beschäftigungen die Mund- und Nasenöffnung durch angefeuchtetes Zeug verhüllt werden, und die Arbeiter dürfen nur außerhalb des Arbeitsortes und nach Ausspülung des Mundes essen oder trinken. Zugleich muß durch gute Ventilation für stetige Erneuerung der Luft gesorgt werden. Auch das häufige Angreifen bleihaltiger Stoffe ist schädlich, daher Schriftsetzer und Schriftschleifer häufig an Bleikrankheiten leiden. Die Maler, Anstreicher und Farbenreiber sind, wenn sie viel mit Bleifarben zu thun haben, der Vergiftung nicht minder ausgesetzt. Schnupfen von Tabak, welcher in Blei verpackt war, ist zu meiden; ja selbst der Gebrauch bleierner Stockknöpfe oder Griffe muß widerraten werden. Die Gefäße, in welchen die Speisen zubereitet werden, sind nicht selten bleihaltig. Stehenlassen von sauern Speisen in Bleigefäßen oder solchen mit stark bleihaltigem Zinnbelege kann die Speisen giftig machen. Geringer Bleigehalt des Belegs (unter 10 Proz. der Belegmasse) scheint jedoch nicht zu schaden. Auch durch die Bleiröhren der Wasserleitungen hat man B. entstehen sehen, jedoch nur dann, wenn das Wasser längere Zeit mit der Luft in Berührung in den Röhren der Reservoirs stagnierte; zwar erteilen die Bleiröhren dem Trinkwasser einen geringen Bleigehalt, wenn das letztere nicht schwefelsauren Kalk enthält, der das Blei als unlösliches schwefelsaures Blei niederschlägt; indessen ist dies bei gut fließendem Wasser ganz ohne Belang; zudem greifen die harten Wässer, welche Kohlensäure und kohlensauren Kalk gelöst enthalten, das Blei weniger an. Ebenso veranlaßt der Genuß mit Bleizucker verfälschter Weine sowie das Reinigen der Weinflaschen mit Schrot leicht Vergiftung. Oft sind Epidemien von B. durch den Genuß von bleihaltigem Mehl dadurch entstanden, daß die Vertiefungen der Mühlsteine mit Blei ausgefüllt waren und so beim Mahlen feinverteiltes metallisches Blei dem Mehl beigemischt wurde. Auch der medikamentöse Gebrauch des Bleies kann in manchen Fällen verderblich werden.

Die Disposition zur Bleikrankheit ist eine verschiedene. Manche verfallen trotz des unvorsichtigen Umganges mit bleihaltigen Stoffen doch nicht der Vergiftung; bei andern tritt dieselbe sehr bald ein. Unmäßigkeit, Trunksucht und andere Excesse scheinen die Disposition zu erhöben. Einmalige Erkrankung läßt eine große Geneigtheit zum Wiederausbruch der Krankheit zurück, der selbst dann noch bei irgend einer Gelegenheitsursache erfolgen kann, wenn der Kranke längst nicht mehr mit Blei zu thun gehabt hat. Die Bleikrankheit ist fast immer eine chronische, d. h. lange dauernde, schleichende Krankheit, die jedoch von Zeit zu Zeit heftigere Ausbrüche macht. Dieselbe kennzeichnet sich teils durch eine Beeinträchtigung des Wohlbefindens und der Ernährung des Gesamtkörpers (Bleikachexie, Bleianämie), teils noch durch besondere, charakteristische örtliche Störungen. In ersterer Beziehung sind die allgemeine Abmagerung, schlechte, gelbliche Hautfarbe, Schlaffheit der Haut, Appetit- und Verdauungsstörungen, trübe Gemütsstimmung, unruhiger Schlaf, Abnahme der Geistes- und Muskelkräfte zu erwähnen; auch kommen öfters asthmatische Zufälle vor (Asthma saturninum). Von den örtlichen Zeichen sind besonders folgende hervorzuheben: das Zahnfleisch entfärbt sich an der Grenze der Zähne, wird bläulich, später fast grau, oft zugleich gewulstet und leicht blutend. Die Zähne nehmen eine schmutzigbläuliche Farbe an, besonders nach der Wurzel hin. Daneben besteht häufig ein widerlicher, süßlicher, zusammenziehender Geschmack und häßlicher Geruch aus dem Munde. Hierzu tritt in den meisten Fällen die sog. Bleikolik, d. d. heftigster, oft unerträglicher Schmerz im Bauche, besonders in der Nabelgegend. Starker Druck auf den Bauch lindert gewöhnlich die Schmerzen, die meist paroxysmenartig, in einzelnen, von schmerzlosen Pausen unterbrochenen Anfällen auftreten. Dabei ist der Leib meist eingezogen, brettartig hart, der Stuhl hartnäckig verstopft. Nächst den Koliken sind Gliederschmerzen (Rheumatismus saturninus) und Muskelkrämpfe besonders häufig. Sie treten leicht nach Erkältungen und Überanstrengungen auf, am häufigsten in den Beinen. Nicht selten bleibt nach ihrem Verschwinden teilweise Lähmung (sog. Bleilähmung) zurück, welche in schweren Fällen zum völligen Schwund der gelähmten Muskeln führen kann. Anästhesie, d. h. Empfindungslosigkeit einzelner Hautpartien oder Sinnesorgane (Blindheit, Taubheit) tritt häufig, jedoch glücklicherweise meist nur vorübergehend auf; die Hautanästhesie besonders leicht an denjenigen Stellen, mit denen das Blei direkt in Berührung kam. Schriftsetzer und Schriftschleifer leiden daher häufig an Empfindungslosigkeit der Finger. Lähmungen einzelner Muskeln, besonders derjenigen, welche die Finger und die Hand strecken, werden sehr oft beobachtet; daneben findet sich bisweilen ein eigentümliches Zittern des ganzen Körpers (Tremor saturninus). Überhaupt treten die Lähmungen häufiger in den Armen als am übrigen Körper auf; bisweilen auch in den Stimmmuskeln (Stottern, Stimmlosigkeit). Endlich sind noch die durch das Blei bewirkten Hirnstörungen, Delirien, Schlafsucht, allgemeine Krämpfe (Bleiepilepsie) zu erwähnen. Die Bleikrankheit kann vollständig heilen, um so sicherer, je kürzere Zeit die Vergiftung angedauert hat. Mit der Länge der Krankheit wird die Aussicht auf vollständige Heilung immer geringer. Der Tod erfolgt selten.

Ein Specifikum gegen die Krankheit, das die Wirkungen des Bleies aufheben könnte, giebt es