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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Brasilien (Geschichte)

Einwanderung zu befördern, wurde ein Gesetz erlassen, wonach die von nichtkath. Geistlichen nach dem Ritus ihres Glaubensbekenntnisses und unter ihren Glaubensgenossen in B. geschlossenen Ehen alle bürgerlichen Wirkungen der kath. Ehen haben sollten. Nachdem Olinda einige Jahre von der Leitung der Staatsgeschäfte zurückgetreten war und während dieser Zeit mehrere Ministerien in rascher Folge gewechselt hatten, trat er 30. Mai 1862 abermals an die Spitze eines Kabinetts, das sich alsbald in einen schweren Konflikt mit England verwickelt sah. Infolge der Verhaftung von 3 engl. Seeoffizieren, die sich am Lande ungebührlich betragen hatten, nahm der engl. Admiral Warren im Jan. 1863 fünf brasil. Kauffahrer auf der Reede von Rio in Beschlag und forderte Genugthuung von der brasil. Regierung. Das Ministerium Olinda verweigerte diese nicht nur, sondern verlangte seinerseits von der engl. Regierung eine Entschädigung und rief schließlich den König der Belgier als Schiedsrichter an, der im Juni die Erklärung abgab, daß durch die Verhaftung jener Offiziere eine Beleidigung Englands nicht stattgefunden habe. Das engl. Kabinett weigerte sich jedoch, den Schiedsspruch anzuerkennen, was zur Folge hatte, daß von beiden Seiten die diplomat. Beziehungen abgebrochen wurden. Erst Dez. 1865 wurden sie durch Vermittelung Portugals wieder angeknüpft. In demselben Jahre wurde B. durch Unruhen in den Nachbarrepubliken in einen mehrjährigen Krieg mit Paraguay verwickelt. Durch den Einfall des alten Führers der Colorados (s. Uruguay), des Generals Venancio Flores (s. d.), von der Argentinischen Republik aus wurde in Uruguay der Bürgerkrieg aufs neue angefacht und machte die bewaffnete Einmischung der Nachbarstaaten bald wieder nötig. Der Präsident Lopez von Paraguay ergriff für die in Uruguay besiegte rechtmäßige Regierung Partei und schritt nach der Einmischung B.s in die Angelegenheiten Uruguays zu Feindseligkeiten gegen das Kaiserreich, indem er ohne Kriegserklärung in die brasil. Provinz Mato-Grosso einfiel. Durch einen geheimen Vertrag vom 1. Mai 1865 verpflichteten sich die Regierungen von B., der Argentinischen Republik und Uruguay, den Krieg nicht eher aufzugeben, als bis Lopez besiegt und gestürzt sein würde. Durch den 1. März 1870 erfolgten Tod von Lopez erreichte der Krieg sein Ende, der B., das erst 2 Jahre vorher eine schwere Geldkrise hatte überstehen müssen, ungeheure Opfer an Geld und Menschen gekostet hatte. (S. Paraguay.) Dessenungeachtet war der Krieg im ganzen populär, da es galt, für B. die ungestörte Schifffahrt auf dem Stromsystem des La-Plata sowie seine Großmachtstellung in Südamerika zu sichern; denn auf jede Gebietsvergrößerung hatte es von vornherein verzichtet.

Als es mit der Zeit immer schwieriger wurde, das brasil. Heer in Paraguay zu vervollständigen, hatte Kaiser Pedro II. allen Sklaven auf den Domänen der Civilliste, die in das Heer eintreten wollten, für sich und ihre Familien die Freiheit gewährt (6. Nov. 1866). Dies fand Nachahmung; es wurde Geld gesammelt, um Sklaven loszukaufen und sie dann als Rekruten einzustellen. Ein Gesetz vom 28. Sept. 1871 erklärte die Staatssklaven und dann die Kinder von Sklavinnen, die vom Datum dieses Gesetzes an geboren würden, für frei; ferner wurden Bestimmungen in betreff der Erziehung und Verpflegung jener Kinder während ihrer Minderjährigkeit getroffen, und allen übrigen Sklaven der Erwerb von Vermögen und das Recht sich freizukaufen eingeräumt. Außerdem wurde ein Staatsfonds gebildet, dessen Erträge ebenfalls zum Loskauf von Sklaven bestimmt waren. Als 1873 mehrere Bischöfe unter Berufung auf ein päpstl. Breve sich weigerten, an Freimaurern und deren Kindern religiöse Handlungen vorzunehmen, klagte die Freimaurerloge beim Ministerium; der Staatsrat entschied, daß kein Geistlicher das Recht zu einer in das Staatsrecht eingreifenden Verordnung habe, ohne das Placet der Regierung eingeholt zu haben, und daß keine gegen die Freimaurer ergriffene kirchliche Censur oder Strafmaßregel bürgerliche Gültigkeit habe. Der Bischof d’Olindo von Pernambuco, der sich weigerte, die über die Freimaurer verhängte Exkommunikation zurückzunehmen, wurde 1874 zu 4 Jahren Zuchthaus wegen Ungehorsams gegen die Staatsgesetze verurteilt, doch vom Kaiser zu einfacher Gefängnishaft begnadigt. Als der päpstl. Nuntius und der Bischof von Para gegen das Vorgehen der Staatsgewalt protestierten, wurde auch dieser letztere verhaftet. Die Klerikalen schürten so lange, bis es in einigen Provinzen zu tumultuarischen Auftritten kam, wogegen die Regierung mit militär. Maßregeln einschritt. Äm 28. Dez. 1880 wurde durch Beschluß beider Kammern den naturalisierten Nichtkatholiken die Wählbarkeit zum Reichsparlament und zu den Provinzialversammlungen zugestanden und gleichzeitig die Naturalisation erleichtert.

Die parlamentarische Geschichte B.s von 1865 bis 1889 mit ihren häufig wechselnden Ministerien weist keine wichtigern Ereignisse auf, ausgenommen die Verhandlungen über Abschaffung der Sklaverei, die 1884 wieder auf die Tagesordnung trat. Durch das 28. Sept. 1885, gerade 14 Jahre nach der ersten Befreiung von 1871, erlassene Gesetz, während welcher Zeit die Zahl der Sklaven auf 1 350 000 im ganzen Reich zurückgegangen war, wurde bestimmt, daß die Sklaverei allmählich ganz abgeschafft und diejenigen Sklaven, die über 60 J. alt waren, sofort für frei erklärt werden sollten. Die übrigen Sklaven sollten, je nach ihrem Alter und Wert in verschiedene Klassen geteilt, spätestens nach 17 Jahren alle frei sein. Die Sklavenhalter sollten entschädigt und die hierfür nötigen Gelder durch Erhebung einer Steuer von 5 Proz. von allen öffentlichen Einkünften, mit Ausnahme der Ausfuhrsteuer, gewonnen werden. Nach der Freilassung sollten die Sklaven noch 3 Jahre bei ihren seitherigen Herren um geringen Lohn arbeiten, damit sie sich an die neuen Lebensverhältnisse gewöhnen könnten. Die so sich allmählich vollziehende gänzliche Aufhebung der Sklaverei that den Heißspornen nicht genug. Durch Gesetz vom 13. Mai 1888 (unter dem Ministerium Oliveira) wurde die Sklaverei in B. vom Datum des Gesetzes an für abgeschafft erklärt. Diese Maßregel rief namentlich bei den Pflanzern großes Mißvergnügen hervor, wie überhaupt die Aufhebung der Sklaverei im ganzen Reiche viel böses Blut machte. Die Gärung wuchs durch die Unzufriedenheit mit der straff centralisierten Verwaltung der Provinzen und durch den Hinblick auf die übrigen sämtlich republikanischen Staaten Südamerikas. Auch die Truppen wurden von der Mißstimmung ergriffen. Als nun Nov. 1889 Vorbereitungen getroffen wurden, einige Bataillone von Rio de Janeiro an die Grenze zu verlegen und die Nationalgarde zu reorganisieren, vermutlich in der Absicht, der unbeliebten Gräfin d’Eu,