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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Ehe

(Arreoy), deren Mitglieder alle als untereinander verheiratet gelten. Die meisten sog. Naturvölker leben polygamisch, die Stellung der Frau ist bei ihnen eine sehr untergeordnete, der Mann besitzt die unbeschränkte Herrschaft. Für die Hindus läßt sich vielleicht ursprünglich die Monogamie annehmen, für die höhern Stände ist aber auch die Vielweiberei gestattet, die Hauptfrau indessen muß ebenbürtig, aus der Kaste des Mannes sein. Verletzung der ehelichen Treue wird streng bestraft, und dem Verstorbenen folgen die treuen Frauen auf den Scheiterhaufen (Sutti, Verbrennung der "guten" Frau). In den Ländern der Buddhareligion, in Hinterindien, China und Japan verbietet das Gesetz die Vielweiberei, erlaubt aber Beischläferinnen.

Sehr bedeutungsvoll war die E. (Monogamie mit Gestattung von Beischläferinnen) bei den Parsen. Dagegen huldigten die Assyrer und Babylonier der Polygamie; gleichem Luxus ergaben sich die höhern Stände Ägyptens, doch war eine Frau die bevorzugte, und die Priester, Vorbilder der Enthaltsamkeit, mußten sich überhaupt monogamisch beschränken. Auch die Juden lebten in den frühern Zeiten, bis zur Babylonischen Gefangenschaft, nicht in ausschließlicher Monogamie. Merkwürdig ist bei ihnen die sog. Leviratsehe (Ehe des Schwagers mit der kinderlos verwitweten Schwägerin) und das damit verknüpfte Ausschuhungs- oder Abschuhungsrecht (Chaliza), nach 5. Mos. 25, 5-10.

Unter den Völkern mohammedanischer Religion ist das eheliche Verhältnis durch den Koran in der vierten Sure so geregelt, daß jeder Gläubige vier legitime Frauen haben darf, aber die meisten, besonders im Mittelstande, begnügen sich der Sparsamkeit und des ehelichen Friedens wegen mit einer Frau. Beischläferinnen sind gestattet. Die Zukunft der Frau wird möglichst sichergestellt, sie hat ein beschränktes Erbrecht, wird als Mutter eines Sohnes hochgeehrt, verbringt aber ihr Leben die meiste Zeit im Harem, fast ganz abgeschlossen von der Außenwelt und bewacht von Verschnittenen. Verletzungen der ehelichen Treue sind selten; die Strafe dafür ist Ertränkung (in einem Sacke) oder Herabstürzen von der Zinne eines Turmes (besonders in Persien).

Erst im Abendland tritt uns eine höhere und reinere Auffassung der E. entgegen, aber nicht von Anfang an, sondern auch hier haben sich die Anschauungen erst in ganz allmählicher Entwicklung geläutert. Kauf und Raub der Frau scheinen anfangs die Regel gebildet zu haben, der erstere erhält sich symbolisch noch lange, und wie materiell das eheliche Verhältnis in manchen Gegenden gefaßt ward, möchten noch heute die für manche Gegenden Deutschlands behaupteten sog. Probenächte bezeugen. Bei den Griechen war die Lage des weiblichen Geschlechts der im Orient sehr ähnlich. Zwar wird die Monogamie bereits auf Kekrops zurückgeführt, aber keineswegs gestaltete sich das eheliche Verhältnis zu einem der christlichen E. auch nur ähnlichen. Die E. blieb vielmehr bei den Griechen immer nur ein rechtlich-polit. Institut, bestimmt, dem Staate Bürger zu verschaffen. In spätern Zeiten nahm das Treiben der Hetären (Buhlerinnen) bedenklich überhand, und selbst die edelsten Geister des Hellenentums waren nicht frei von solchen Einflüssen.

In Rom fand die gesetzmäßige E. (connubium, im Gegensatz zum contubernium, der Sklavenehe, und dem concubinatus) auf Grund des jus connubii nur zwischen Bürgern und Bürgerinnen, wie auch den mit dem jus connubii begabten Fremden, seit der lex Canuleja 445 auch zwischen Plebejern und Patriciern statt. Eine vorhergehende Verlobung (sponsalia) scheint die Regel gewesen zu sein, ohne doch ein rechtliches Erfordernis zu bilden. Als Unterpfand des Versprechens gab der Bräutigam der Braut den Verlobungsring (annulus pronubus). Der Modus für die Eheschließung war dreifach: 1) die Coëmtio in manum (s. d.); 2) die Confarreatio (s. d.); 3) kam dazu noch der Usus (Verjährung), indem nämlich ein Mädchen gesetzliche Gattinrechte erhielt, wenn sie mit Einwilligung ihrer Eltern oder Vormünder ein volles Jahr mit einem Manne zusammenlebte. Die Hochzeitsgebräuche waren mehr oder weniger festlicher Art. Hergebracht war das Hochzeitsmahl, nach welchem die Braut von Matronen in das im Atrium aufgestellte, prächtig geschmückte Brautbett gebracht wurde. Die Überführung in das Haus des Gatten (deductio in domum mariti) galt später als für die Rechtskraft der E. wesentlich. Das Alter der Reife war gesetzlich bei dem Manne schon das 12. und bei dem Mädchen schon das 10. Jahr, obwohl die Vermählung in so frühem Alter wohl nur sehr ausnahmsweise wirklich stattfand. Hervorgehoben werden muß schließlich noch die ohne Vergleich höhere Stellung der röm. Frauen gegenüber ihren Genossinnen im Orient und selbst in Griechenland: in Rom erhielt die Frau wenigstens einigermaßen die Würde und Bedeutung, welche einer vollen Einsetzung in alle Rechte durch das Christentum den Weg ebnete.

Eine Stufe höher noch in der Auffassung der E. stehen die Germanen schon in der heidn. Zeit. Tacitus preist die Keuschheit und Heiligkeit der germanischen E. Starb der Mann, so heiratete die Witwe selten wieder; bei einigen Stämmen, so bei den Herulern, verbrannte sie sich mit der Leiche des Mannes. Herkommen war, erst im reifern Alter zu ehelichen, indessen gestatteten die Langobarden, das sächs. und fries. Recht die gültige E. schon mit 12 Jahren. In den frühern Zeiten bestand die Eheschließung aus einem doppelten Akte: Verlöbnis und Trauung. Die Verlobung war der eigentliche Rechtsakt und bestand in Zahlung des Wittums (vom got. vidan, binden) von seiten des Bräutigams an den Vater oder Vormund der Braut, wodurch die Ablösung der Braut von der angeborenen Mundschaft und der rechtmäßige Eintritt in die Familie und den Schutz des Bräutigams erfolgte. Später wurde aus dem Wittum eine Vergabung an die Braut selbst, speciell für den Fall des Todes des Mannes. An dem Verlobungstage steckte der Bräutigam der Braut den Ring an; der Ring ist der symbolische Überrest des alten Kaufpreises; einen Ringwechsel kennt das alte deutsche Recht nicht, und die heutige engl. Sitte hat hieran festgehalten. Bei Unfreien geschah die Verlobung durch den Herrn, der Bräutigam hatte dafür an seinen Herrn einen Zins zu entrichten, der Herr der Braut erhielt den Brautkauf (maritagium, bûmede) und hatte überdies, wie vielfach angenommen wird, das Jus primae noctis (s. d.). Über die sog. Ebenbürtigkeit s. d. Verbotene Verwandtschaftsgrade kannten die Germanen vor Annahme des Christentums gleichfalls nicht, nur Heiraten zwischen Eltern und Kindern waren nicht erlaubt. Die Trauung (traditio puellae), thatsächliche Übergabe der Frau an den Mann, erfolgte erst später unter mannigfaltigen Festlichkeiten und Gebräuchen (Brautlauf). Der Brautkranz war