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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Europa (Geschichte)

treten muß. Während dieses Krieges erkämpfen die Niederlande gegen Spanien ihre völlige Unabhängigkeit. (S. Historische Karten von Europa I, 4.) In England erliegen die Stuarts in ihrem Versuch, ein absolutes Königtum mit Hilfe der engl. Staatskirche zu errichten. Karl I. stirbt auf dem Schafott (1649), und Cromwell gründet die auf dem Independentismus basierte, Englands Macht im Kampf gegen alle katholisierenden Richtungen gewaltig fördernde Republik. In Deutschland ringt sich unter allen Territorialstaaten der brandenburgische des Großen Kurfürsten am glücklichsten und kräftigsten empor. Er hilft Karl X. Gustav von Schweden die Polen schlagen und diesen darauf selbst demütigen, und gewinnt dabei die Souveränität von Ostpreußen (Friede von Oliva 1660), ein Jahr nachdem Mazarin im Pyrenäischen Frieden die Fronde und die span. Feindschaft zum großen Triumph Frankreichs beigelegt hat, in demselben Jahre, wo für England durch die Restauration Karls II. Stuart eine neue Epoche beginnt.

Mit dem Tode Mazarins (1661) beginnt das Zeitalter Ludwigs XIV. Seine immer weiter greifenden Annexionen, die auf die direkte Beherrschung der ganzen span. Erbschaft abzielen, werden durch die Koalitionen der bedrohten Mächte, denen seit der Revolution von 1688 England, mit den Niederlanden eng verbunden, vorkämpft, abgewehrt.

Im Beginn des 18. Jahrh. wird Schweden durch Rußland, das Peter d. Gr. in den Kreis der europ. Mächte einführt, im Nordischen Kriege von seiner Machtstellung verdrängt; Österreich erwehrt sich 1683 zum letztenmal der Türken und begründet dann durch die Siege Eugens seine Macht bis an die Donau und Save. Die span. Monarchie wird durch den den Spanischen Erbfolgekrieg abschließenden Utrechter Frieden (1713) wesentlich auf die Pyrenäenhalbinsel beschränkt, und die Bourbonen besetzen die Throne von Spanien, Sicilien und Parma. (S. Historische Karten von Europa II, 5.) In Preußen legt Friedrich Wilhelm I. die ehernen Fundamente, auf denen Friedrich d. Gr. in musterhafter Verwaltung und heroischen Kämpfen gegen Österreich, schließlich, von England unterstützt, gegen Österreich, Frankreich, das Deutsche Reich, Schweden und Rußland die preuß. Großmacht schafft. Frankreich sinkt unter Ludwig XV. schnell von seiner Höhe herab; sein Kolonialbesitz wird ihm größtenteils von England abgenommen.

Rußland streicht im Verein mit Preußen und Österreich Polen von der europ. Staatenkarte. (S. Historische Karten von Europa II, 6.) Nachdem die Französische Revolution von 1789 die polit. und socialen Zustände E.s tief erschüttert, tritt aus dem großen Sturme Napoleon I. hervor. Seine Siege verändern den staatlichen Zustand E.s, namentlich indem sie das alte Deutsche Reich zertrümmern, und erheben durch die Friedensschlüsse zu Lunéville 1801, Preßburg 1805, Tilsit 1807 und Wien 1809 seine Macht 1810 auf den höchsten Gipfel. (S. Historische Karten von Europa II, 7.) Der Stern Napoleons erbleicht aber schon 1812 in Rußland, er geht unter 1813 und 1814 und flackert noch einmal 1815 auf. Die europ. Mächte stellen nicht allein die alte Ordnung wieder her, sondern vereinfachen auch durch den Wiener Kongreß von 1815 das europ. Staatenbild und verbinden sich zur Erhaltung eines festen Gleichgewichts. (S. Historische Karten von Europa II, 8.)

Als erste äußerliche Veränderungen dieses Gleichgewichts sind zu betrachten einerseits die Neubildungen des Königreichs Griechenland 1829 und des Königreichs Belgien 1830, andererseits der erweiterte Einfluß Rußlands durch das im Frieden zu Adrianopel 1829 errungene Protektorat über sämtliche Griechisch-Katholische der griech. Halbinsel, die specielle Beschützung der Donaufürstentümer und die Erwerbung des Donaudeltas. Das vergebliche Streben der Polen nach Wiederherstellung ihrer Selbständigkeit in den Kämpfen 1830-31 erhält einen neuen demütigenden Schlag durch die Einverleibung Krakaus in Österreich 1846. Während das Aufgehen des Herzogtums Lucca in Toscana und die Übernahme Parmas seitens des Herzogs von Lucca 1847 als friedliche Akte von geringer Bedeutung verlaufen, erhebt sich aus dem Schoße der europ. Staaten und Völker die Freiheitsbewegung von 1848. Die Ausgangspunkte derselben bildeten der Sonderbundskrieg in der Schweiz und die Revolution in Sicilien. Dann zündeten ihre Blitze in Frankreich, Deutschland, Österreich, Preußen. Aber die Reaktion nimmt den Kampf gegen die Revolution auf; sie widersteht mit Erfolg in Berlin, Wien, Baden und Dresden, in Italien und Ungarn und folgt ihr auf das Feld socialer und parlamentarischer Kämpfe. Aber ein noch mächtigeres Triebmittel als der Gedanke der polit. Freiheit, war das Hand in Hand mit ihm gehende Nationalitätsprincip. Napoleon III., dessen Régime allein schon einen Protest gegen das System von 1815 bildet, verbindet sich mit ihm. So entsteht die mächtige Bewegung, die 1859 und 1860 in Italien aus der schon lange glimmenden Asche hervorbrach, die Throne von Toscana, Modena, Parma und Neapel umstieß, dem österr. Kaiserstaate die Lombardei entriß, den Kirchenstaat auf kaum ein Drittel seines Areals beschränkte und Frankreich die Provinz Savoyen und den größten Teil von Nizza zuführte. Während der Friede von Villafranca 1859 und die piemont. Erfolge 1860 in Neapel die Karte von Italien wesentlich umgestalteten und ein Königreich Italien hervorriefen, hatte der Friede zu Paris 1856 auch im Osten E.s den Stand der Dinge erheblich verändert. Der Druck Rußlands auf die Türkei wurde seitens der verbündeten Westmächte (Frankreich, England und Piemont) im Orientkriege und durch die Einnahme Sewastopols 1855 nachhaltig abgewehrt. Für den Verlust im Orientkriege entschädigte sich Rußland 1860 durch gänzliche Niederwerfung der Kaukasusvölker; was es an der Donau verloren hatte, ersetzte es durch glänzende Fortschritte in Asien. Als weiteres Resultat des Pariser Friedens erfolgte 1861 die administrative Vereinigung der Moldau und Walachei unter einem einzigen Fürsten und demnächst die Proklamation der Union zu einem neuen europ. Staate Rumänien. Vorläufig ward dadurch der Besitzstand der Pforte nicht berührt, denn das Verhältnis Rumäniens blieb ein tributäres. Montenegro kam nach den unglücklichen Kämpfen 1862 in ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis von der Pforte. Dem Thronwechsel in Griechenland, der durch die Vertreibung des Königs Otto 1862 veranlaßt war, folgte das Aufgeben der brit. Hoheitsrechte über die ion. Inselrepublik und 1863 deren Einverleibung in Griechenland.

Während die poln. Revolution 1863 und 1864 nicht zu der erstrebten staatlichen Veränderung