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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Irland (Geschichte)

vollern friedlichen Bestrebungen den Gedanken gewaltsamer Revolution entgegengestellt hatte. Anarchische Ausbrüche, Gewaltthätigkeiten, agrarische Mordthaten zerrütteten das Land; die materielle Not hatte die gesetzlichen Bande völlig gelockert. Unter solchen Umständen mußte I. die festländischen Revolutionen von 1848 mächtig empfinden. Die Führer Jung-Irlands, O'Brien, Mitchel, Duffy, Meagher u. s. w., suchten durch eine Sendung nach Paris mit der Provisorischen Regierung anzuknüpfen, während unverhohlen Rüstungen und Waffenübungen vorgenommen wurden. Die energischen Maßregeln der Regierung vereitelten jedoch den Ausbruch, noch ehe man zum Losschlagen bereit war. Die Habeas-Corpus-Akte wurde suspendiert, die aufrührerischen Zeitungen unterdrückt, und O'Brien, von dem Volke als König von Munster begrüßt, nach einem ohnmächtigen Aufstandsversuch (5. Aug.) gefangen genommen und nebst seinen Gefährten zum Tode verurteilt, welche Strafe indes in Deportation umgewandelt ward. In kurzer Zeit war die Ruhe wiederhergestellt; aber der materielle Notstand blieb unvermindert. Hunger und Krankheit decimierten die Bevölkerung; Grundstücke wurden verlassen, ganze Strecken lagen unbebaut, und es begann eine fast fluchtähnliche Massenauswanderung nach Amerika. Wohl trat nach diesem Abgange eines Teils der Bevölkerung im allgemeinen eine Besserung ein. Der Ackerbau hob sich wieder, und auch die Industrie fing an, durch das Beispiel der Londoner Weltausstellung ermuntert, ihren Wetteifer durch eine öffentliche Ausstellung zu bekunden. Die geistigen Bedürfnisse wurden durch die Errichtung von höhern Bildungsanstalten unter dem Namen der Queen's Colleges befriedigt, die Katholiken und Protestanten dieselben Vorteile gewährten. Allein von kath. wie von prot. Seite regte sich bald eine heftige Opposition gegen diese Schulen, und wenn der nationale Gegensatz wirklich einmal schwieg, dann führte der religiöse Hader mehr als einmal zu blutigen Auftritten, die immer wieder Ausnahmegesetze nötig machten.

Unterdessen bereitete sich eine neue Schilderhebung vor, diesmal von Amerika aus, wo jetzt Millionen von Irländern lebten, die alle von wütendem Haß gegen die engl. Regierung beseelt waren. In der Hoffnung auf einen Bruch zwischen den Vereinigten Staaten und England, die durch die Haltung Englands während des amerik. Bürgerkrieges genährt wurde, bildete sich Ende 1861 der Geheimbund der Fenier (s. d.), der auf die völlige Losreißung I.s von England und die Herstellung einer irischen Republik hinarbeitete. An der Spitze des Bundes in Amerika stand John O'Mahoney, in Irland James Stephens. Von Amerika ging die Bewegung bald auf I. über, aber das energische Auftreten der Regierung, die im Sept. 1865 das journalistische Organ der Fenier, "The Irish People", unterdrückte, mehrere Häupter und zahlreiche Teilnehmer der Verschwörung verhaftete, das Waffenverbot proklamierte und die in I. stehende Militärmacht verstärkte, beugte dem beabsichtigten Aufstande vor. Auch 1866 genügte die Aufhebung der Habeas-Corpus-Akte, die Fenier im Zaum zu halten, und als im Frühling 1867 thatsächlich Aufstandsversuche stattfanden, wurden sie in wenigen Tagen unterdrückt. Ebenso erfolglos waren in Amerika die bis 1871 periodisch wiederholten fenischen Unternehmungen gegen das engl. Canada.

Wenn aber der Fenianismus in seinem Hauptbemühen erfolglos blieb, so hat er mittelbar unleugbar Großes für I. gewirkt. Denn den fenischen Umtrieben und der Gärung, die sie in I. hervorriefen und erhielten, war es zu danken, daß die engl. Staatsmänner endlich die irische Frage mit Energie einer umfassenden Lösung entgegenführten. Während der J. 1865-67 war die Unterdrückung der revolutionären Symptome, die Bestrafung der Mitglieder und Helfershelfer der Verschwörung die nächste Pflicht; von 1868 an begann die reformierende Thätigkeit zur Beseitigung der Grundübel, auf welche die irische Unzufriedenheit mit der engl. Herrschaft zurückzuführen war: der Anglikanischen Staatskirche und der Tyrannei der fremden Grundherren über die einheimischen Pächter. Man bezeichnete diese beiden Probleme mit dem Namen der Kirchenfrage und der Landfrage. Indem das Ministerium Gladstone durch die Irische Kirchenbill von 1869 die Anglikanische Kirche in I. entstaatlichte und mit den andern irischen Religionsgemeinschaften auf gleichen Fuß stellte, durch die Landbill von 1870 die gerechten Beschwerden der irischen Pächter gegen die Grundherren in den wesentlichsten Punkten milderte, wurde wenigstens für einige Zeit der revolutionären Agitation gegen die engl. Herrschaft die Spitze abgebrochen. Allerdings gaben die vollen Wirkungen dieser Politik sich nicht unmittelbar kund. Noch während der Session von 1871 mußte die engl. Regierung um die Ermächtigung zu außerordentlichen Maßregeln für die Erhaltung der öffentlichen Ruhe in I. nachsuchen, und die Agitation der neuen irischen Nationalpartei, der sog. Home-Rulers (s. d.), für die Gewährung abgesonderter Verwaltung und parlamentarischer Selbstregierung I.s, begann noch während der Herbstmonate desselben Jahres. Diese Agitation äußerte sich zuerst in vergleichsweise gemäßigter Form unter der Führung Butts und Shaws, nahm aber eine entschiedenere Wendung seit 1878, als die radikalen Nationalisten unter der Führung Parnells anfingen über die gemäßigten Home-Rulers die Oberhand zu erlangen. Die Gründung der Landliga (s. d.) 1879 durch den Fenier Michael Davitt brachte die parlamentarische Partei der Home-Rulers mit den fenischen Revolutionären in unmittelbaren Zusammenhang. Während die Home-Rulers die polit. Losreißung von England forderten, vertraten die Landligisten die sociale Emancipation I.s mittels der Vertreibung der Grundherren und der Rückgabe des irischen Landes an das irische Volk, und beide Parteien vereinigten sich 1880 unter der Führung Parnells. Trotz der Bereitwilligkeit des neuen Ministeriums Gladstone (seit 1880) zu weitern Reformen ließ die Agitation nicht nach. Der schlimmste Terrorismus wurde durch die das Land durchziehenden verbrecherischen "Mondscheinbanden" und durch das Boycotten (s. d.) aller Mißliebigen ausgeübt. Die Regierung suchte 1881 mit Zwangs- und Reformgesetzen zugleich einzuschreiten. Ein neues Landgesetz machte den irischen Pächtern weitgehende Zugeständnisse, jedoch wurden dieselben von der Landliga verworfen, die schließlich nichts anderes als völlige Enteignung der engl. Grundbesitzer in I. forderte. Die Auflösung der Liga, die Verhaftung Parnells, Davitts und anderer Führer (Okt. 1881) hatten nur vorübergehenden Erfolg, es bildete sich die umfassende Nationalliga (s. d.), und im Nov. 1881