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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Joseph II. (römisch-deutscher Kaiser)
In demselben Iabre nahm I. seine frühern Pläne
gegen Bayern von neuem auf, indem er einen Aus-
tausch von ganz Pfalz-Bayern gegen die österr.
Niederlande'in Vorfchlag brachte. Das Projekt
scheiterte indes abermals an dem Widerstände Fried-
richs II., der 1785, um weitere österr. Übergriffe in
Deutschland zu verhindern, den Fürstenbund (s. d.)
stiftet?. Nun wandte sich I. mit aller Energie dem
Osten zu , um im Bunde mit Rußland die Türken-
Herrfchaft auf der Balkanhalbinfel zu zertrümmern.
Bei einer neuen Zusammenkunft mit der Kaiserin
Katharina in Chcrson (Mai 1787) wurde ein
Offensivkrieg gegen die Pforte beschlossen. Der in
großein Maßstabe 1788 begonnene Krieg führte nicht
zu den erhofften Erfolgen; die Österreicher erlitten
mehrfache Niederlagen; zugleich brach in den Nieder-
landen ein Aufstand aus, und auch in den übrigen
Erbländern, znmal in Ungarn, nahm die Un-
zufriedenheit über die rücksichtslos durchgeführten
Neuerungen des Kaisers einen höchst bedrohlichen
Charakter an.
Für die innere Entwicklung des österr. Staats-
wescns bezeichnet die Regierung I.s die Periode
der umfassendsten, einschneidendsten und teilweise
auch fruchtbarsten Reformen. I. war den modernen
liberalen Anschauungen der Austlärungszeit zuge-
neigt; erfüllt von lebhafter Teilnahme für den Bür-
ger- und Ballernstand und für die unterdrückten
Klassen, begeistert von dem hohen Beruf des Für-
sten, richtete er seine Angriffe in erster Linie gegen
die alten feudalen Zustände, gegen die Herrfchaft
der privilegierten Stände, gegen Adel und Klerus
sowie gegen die Sonderrechte der einzelnen Pro-
vinzen und Kronländer. Von den edelsten Absichten
ausgehend, suchte I. mit Feuereifer und mit rück-
sichtsloser Energie das für recht und gut Erkannte
seinen Unterthanen aufzuzwingen, ohne sich um
das historisch Gewordene, um die weitverbreitete
Vorliebe für die alten Zustände zu bekümmern. Die
Folge war, daß all seinen Reformen, fo trefflich sie
im Kern gedacht waren, ein Zug des Hastigen, über-
eilten, Gewaltsamen anhaften blieb; daß eine er-
bitterte Opposition wachgerufen ward und durch das
Drängen dieser Opposition die meisten Maßnahmen
des Kaisers wieder rückgängig gemacht wurden.
Die aus grundverschiedenen Ländern zusammen-
gesetzte österr. Monarchie wollte I. in ein einheit-
lich geleitetes und centralisiertes Staatswescn um-
formen. Er vermied die besondere Krönung in den
einzelnen Erbstaaten, um die Privilegien der Un-
garn und Böhmen nicht anerkennen zu müssen. Die
Sondcrverfaffung der Provinzen, vor allem in Un-
garn, ließ er befeitigcn, setzte die ständifche Mit-
regierung und die Einwirmng der Provinzialland-
tage außer Kraft, fchuf in den verfchiedenen Kron-
ländcrn eine gleichmäßige und einheitliche Verwal-
tung, die allein durch Beamte, durch eine von der
Krone abhängige Bureaukratie ausgeübt werden
sollte. Im Zusammenhang damit stand die Absicht
des Kaisers, Osterreich in einen rein deutschen Staat
umzuwandeln und die fremden Nationalitäten, be-
sonders die ungarische, zurückzudrängen. In Un-
garn und Galizien wurden zahlreiche deutsche Ko-
lonien angelegt, die deutsche Sprache wurde zur
allgemeinen Reichssprachc erhoben; die ganze Mon-
archie in 13 Regierungsbezirke eingeteilt. Wie die
Provinzen, so sollten auch die Städte, die Univer-
sitäten, die Klöster und die Zünfte ihre Selbstver-
waltung verlieren. Es wurden in Wien zahlreiche
neue Gesetze ausgearbeitet, die gleichmäßig auf alle
Kronländer, unter Fortfall der bisherigen Sonder-
rechte, in Anwendung kommen sollten. So erschien
eine allgemeine Gerichtsordnung, ein neues Krimi-
nalrecht und ein allgemeines bürgerliches Gesetz-
buch. Die Tortur wurde abgeschafft, die Todes-
strafe, wenn auch nicht ganz beseitigt, so doch fehr
eingeschränkt. Ein sehr großes Verdienst erwarb
sich I. durch die Aushebung der Leibeigenschaft und
durch das Streben, allen Unterthanen Gleichheit
vor dem Gesetz zu verschaffen. Im Steuerwcsen
wurden die Abgaben auf eine allgemeine Grund-
steuer begründet, zu der auch der Adel herangezogen
wnrde. Während sich hier I.s physiokratische Wirt-
schaftsanschauungen geltend machten, neigte er in
andern Beziehungen, wie bei dem Verbot des Frei-
handels mit dem Auslande und bei der staatlichen
Förderung der Industrie, dem Merkantilismus zu.
Er ließ neue Fabriken anlegen, ermunterte die In-
dustrie durch Vorschüsse, gab den innern Handel frei
und führte in den böhm.-österr. Ländern Freizügig-
keit ein, beseitigte viele Monopole, machte Fiume
zu einem Freihafen und verschaffte seinen Unter-
thanen die freie Schiffahrt auf der Donau bis ans
Meer. Ebenso förderte er Künste und Wissenschaf-
ten, stiftete zahlreiche Wohlthätigkeitsanstalten, ins-
besondere Krankenhäuser, und legte allerorten in
Stadt und Land neue Schulen an. Der Preßzwang
wurde gemildert, indem die Bücherccnsur aus den
Händen der Geistlichen genommen und die Tagcs-
presfe ganz freigegeben wurde.
Besonders einschneidend erwies sich des Kaisers
reformatorische Thätigkeit auf dem Gebiete des
Kirchenwcsens. Er begann damit, daß er die Kor-
respondenz der Bischöfe und Geistlichen mit Rom
beschränkte, die Erziehung der jungen Geistlichen in
dem jesuitischen Ooii^ium (^oruiHnicüiill in Rom
verbot und durch das Dekret vom März 1781 an-
ordnete, daß die päpstl. Bullen und Breven vn Oster-
reich nur nach eingeholter Zustimmung des Landes-
fürsten veröffentlicht werden dürften. Mehr als
700 Klöster, deren Insassen sich keiner gemeinnützigen
Thätigkeit widmeten, wurden aufgehoben, die frei
werdenden Geldmittel für die bessere Befoldung des
weltlichen Klerus und für Schulzwccke verwendet;
die Zahl der Ordensgcistlichen wurde von 63000
auf 27000 vermindert, die bestehen bleibenden
Mönchsorden wurden unter die Aufsicht der Lan-
desbischöfe statt unter die des Papstes gestellt. Am
13. Okt. 1781 erließ der Kaiser ein Toleranzedikt,
das den Protestanten und nichtunierten Griechen
freie Religionsübung verstattete. Papst Pius VI.,
der 1782 nach Wien kam, in der Absicht, den Kaiscr
umzustimmen, vermochte nichts auszurichten. In-
dessen machte sich gegen die Iosephinische Kirchen-
politik in den Provinzen, besonders in Tirol, ein
hartnäckiger Widerstand geltend, der vom kath.
Klerus nach Möglichkeit gefördert wurde.
Schlimmer uoch gestalteten sich die Verhältnisse
in den außerdeutschen Landen. In Ungarn regte
sich eine heftige nationale Opposition. Die Ma-
gyaren wehrten sich gegen die Aufhebung ihrer Ver-
fassung, gegen die Einführung der deutschen Sprache
und die bureaukratische Verwaltung Ungarns durch
deutsche Beamte; mehrfach kam es zu Unruhen. In
den östcrr. Niederlanden gerietI. durch seine Kirchen-
reformen und die Stiftung des Generalfeminars
zu Löwen (1786) zunächst mit der kath. Geistlichkeit
in Konflikt. Dann wollte er auch das Gerichtswesen