Anmerkung: Fortsetzung des Artikels 'Normannen'
Thierry, Histoire de la conquête de l’Angleterre par les Normands (Limoges 1877).
Ähnlich litten die Küsten des Fränkischen Reichs von der Elbe bis zur Garonnemündung.
Schon 810 hatte der dän. König Gottfried Friesland überfallen, und in der Zeit der Bürgerkriege unter Ludwig dem Frommen
wurden die N. zu einer furchtbaren Geißel. Sie verheerten 836 Antwerpen, 837 Duerstede, 841 Rouen, 843 Nantes, 845 Paris und
Hamburg, 847 Bordeaux u. s. w. Bald setzten sie sich auch fest (so bei Dorstadt unweit Utrecht) oder drangen mit ihren
kleinen leichten Schiffen die Flüsse aufwärts, raubten Pferde und streiften bis in die Moselgegend und nach Burgund. Auch
die Küsten Spaniens wurden seit 843 wiederholt von normann. Seeräubern beunruhigt. Einzelne Scharen kamen bis ins Mittelmeer
und drangen die Rhône aufwärts bis Valence. In Italien wurde 859 die Stadt Luna (jetzt Sarzana) und 860 Pisa von N.
geplündert und verbrannt. Am schlimmsten gestalteten sich die Dinge unter der schwachen Regierung des Kaisers Karl III. 880
erlitten die Sachsen südlich von der Elbe eine furchtbare Niederlage, wobei der Herzog Bruno mit elf Grafen fiel. 881 und
882 drangen viele Tausend N. längs des Rheins und der Maas vor. Die Städte Maastricht, Lüttich, Aachen, Jülich, Köln und
viele andere gingen in Flammen auf, bis der Kaiser mit Geld den Frieden erkaufte. Eine andere Schar belagerte Paris 885–886,
das aber durch Graf Odo gerettet wurde. Seitdem aber König Arnulf ein starkes normann. Heer an der Dyle (bei Löwen)
vernichtete (Sept. 891), hatte Deutschland vor den N. ziemlich Ruhe.
Norwegische N. fuhren außerdem nach Irland, Schottland, den Shetlandsinseln, den Orkneys, Hebriden und Färöer, und diese
Inseln wurden von unzufriedenen Häuptlingen und Freibauern, die sich der Alleinherrschaft des Königs Harald I. von Norwegen
nicht unterwerfen wollten, kolonisiert. Andere norweg. Auswanderer gingen nach Island,
von hier aus ward Grönland besiedelt und das nordöstl. Amerika, Vinland (d. i.
Weinland), entdeckt. (S. Amerika, Bd. 1, S. 518a.) –
Vgl. Gravier, Découverte de l’Amérique par les Normands (Par. 1874) und
The Norman People and their existing descendants in the British Dominions and the United
States of America (Lond. 1874).
In Frankreich setzten sich die N. nach Odos Tod an der Seinemündung fest; 912 erhielt
ihr Anführer Rolf oder Rollo von Karl dem Einfältigen Rouen mit den nächsten Gauen (s. Normandie),
wogegen er sich taufen ließ und den Lehnseid leistete. Die mit ihm eingewanderten N. nahmen gleichfalls das Christentum und
sehr bald auch die franz. Sprache und Sitte an; aber sie bewahrten dabei den kriegerischen und abenteuerlichen Sinn ihrer
skandinav. Vorfahren. Ein Nachkomme Rolfs, Wilhelm der Eroberer, unterwarf 1066 England. – Vgl. Depping,
Histoire des expéditions maritimes des Normands et de leur établissement en France
(2. Aufl., 2 Bde., Par. 1843; deutsch von Ismar, 2 Bde., Hamb. 1829); Keary,
The Vikings in Western christendom, 789–888 (Lond. 1890).
Aus der Normandie zogen auch viele nach dem südlichen Italien, wo damals die
einheimischen Großen, die Byzantiner und die Araber in langwierigen Fehden einander bekämpften. Die N. kamen zuerst als
Wallfahrer zum Heiligtum des Erzengels Michael auf dem Monte-Gargano, dann ↔ nahmen sie Söldnerdienste,
allmählich faßten sie festen Fuß. Am Ende begründete die Nachkommenschaft des normann. Ritters Tancred von Hauteville hier
ein Königreich, indem Robert Guiscard 1059 zum Herzog von Apulien, Roger II. 1130 zum König von Sicilien durch den Papst
erhoben wurde. (S. Sicilien, Königreich.)
Die N. entwickelten sich in Frankreich und Italien zu den
einflußreichsten und glänzendsten Vertretern des christl.-ritterlichen Geistes, waren die hauptsächlichsten Träger der
Kreuzzugsbewegung (s. Bohemund) und bildeten die Einrichtungen des Feudalstaates in vollkommenster
Weise aus. Sie haben aber auch mit diesem System zuerst gebrochen und in ihrem ital. Reiche die Grundlagen des
centralisierten Beamtenstaates gelegt, der hier dann von den Staufern Heinrich VI. und Friedrich II. ausgebildet wurde. –
Vgl. de Blasiis, La insurrezzione pugliese e la conquista normanna (3 Bde.,
Neap. 1864–73); Schack, Geschichte der N. in Sicilien (2 Bde., Stuttg. 1889); L. von Heinemann, Geschichte der N. in
Unteritalien und Sicilien bis zum Aussterben des normann. Königshauses (Bd. 1, Lpz. 1894).
Auch in der Ostsee spielten die normann. Vikinger eine wichtige Rolle. In der Nähe der alten Handelsstadt Julin
(s. Vineta) auf Wollin begründeten im 10. Jahrh, dänische N. unter dem in Sagen hoch gefeierten
Palnatoki (s. d.) den Seeräuberstaat Jomsburg (Vineta), der aber 1043 durch König Magnus den Guten von
Dänemark und Norwegen zerstört wurde. Sonst herrschten hier wohl meist schwedische N. vor. Bei den benachbarten Finnen und
Slawen hießen sie Ros oder Rus, wahrscheinlich von
der schwed. Küstengegend Roslagen (den Älandsinseln gegenüber) abgeleitet. Diese machten die östl. Küsten der Ostsee
unsicher und zinsbar. Die slaw. Völkerschaften riefen, um dem innern Hader ein Ende zu machen, 862 drei Führer der Ros:
Rurik, Sineus und Truvor, ins Land und übertrugen diesen die Herrschaft. (Vgl. Kunik, Berufung der schwed. Rodsen durch die
Finnen und Slawen, Petersb. 1844–45.) Von diesen hat Rußland seinen Namen; sie bildeten lange einen bevorzugten
Kriegerstand, später verschmolzen sie mit der einheimischen Bevölkerung. Es war aber hier auch der Name
Waräger üblich, d. h. die Fremden oder Gäste, und damit wurden auch die in byzant.
Kriegsdienst getretenen N. bezeichnet, die zahlreich durch Rußland zogen. Die Waräger-Russen drangen längs der Flüsse bis
ins Schwarze Meer vor und dehnten ihre Raubzüge sogar bis in die Umgegend von Konstantinopel aus (866, 906, 941 und 1043).
Schon um 935 bestand in Konstantinopel eine fremde Leibwache, die Waranger (ßαραγγστ),
die anfangs aus N., seit dem 11. Jahrh. aber vorzugsweise aus ausgewanderten Angelsachsen ergänzt wurde. – Vgl. Dondorff,
Die N. und ihre Bedeutung für das europ. Kulturleben im Mittelalter (Berl. 1875); Steenstrup, Normannerne (4 Bde.,
Kopenh. 1876–82); Thomsen, The relations between ancient Russia and Scandinavia
(Oxf. 1877).