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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Prozeß - Prozessionsspinner

berechnet. Wieder andere, wie Tara, Gutgewicht u. s. w., werden in P. vom Gewicht bestimmt. Die Prozentrechnung bildet deshalb einen wichtigen Teil der Handelsarithmetik (s. d.).

Prozéß (Processus, im klassischen Latein ein feierlicher Aufzug oder Umgang), Fortgang, Vorgang, Verfahrungsart; juristisch der Rechtsgang oder das gerichtliche Verfahren, d. h. diejenige Reihenfolge von Handlungen, durch welche der staatliche Rechtsschutz sich verwirklicht. P. nennt man auch die gesetzlichen Vorschriften über das gerichtliche Verfahren und deren wissenschaftliche Darstellung. Aus der Verschiedenheit des Gegenstandes ergiebt sich der Gegensatz zwischen Strafprozeß (s. d.), Civilprozeß (s. d.) und dem Verfahren vor den Verwaltungsgerichten. – Über Chemische Prozesse s. d.

Prozeßbetrieb, im Civilprozeß die Art, in welcher die zur Einleitung und Durchführung des Prozesses erforderlichen Handlungen zwischen den Parteien untereinander und zwischen Parteien und Gericht vermittelt werden. Im frühern gemeinen und altpreuß. Prozeß lag die formelle Fortführung des Verfahrens ausschließlich in den Händen des Gerichts (Offizialbetrieb). Im Gegensatz dazu ist nach dem franz. (und dem frühern hannov.) Prozesse der P. den Parteien überlassen, derart, daß die erforderlichen Prozeßhandlungen im Auftrage der Parteien durch staatlich bestellte Zustellungs- und Vollstreckungsbeamte (Gerichtsvollzieher) ausgeführt werden (Parteibetrieb). Die Deutsche Zivilprozeßordnung hat ein gemischtes System, nämlich das eines modifizierten Parteibetriebes, angenommen. Danach bildet der Parteibetrieb die Regelform. Dies ergiebt sich aus dem an die Spitze gestellten Satze, daß die Zustellungen durch Gerichtsvollzieher erfolgen, welche unmittelbar von der betreibenden Partei zu beauftragen sind, sowie aus einer Reihe von Vorschriften über Zustellungen und Ladungen, namentlich bei der Einleitung des Prozesses oder einer höhern Instanz, bei Weiterführung eines unterbrochenen, ausgesetzten oder ruhenden Verfahrens, bei Beteiligung Dritter am Rechtsstreit (durch Intervention) u. s. w. Daneben sieht aber die Civilprozeßordnung eine erhebliche Beschränkung des Parteibetriebes durch den Offizialbetrieb vor. So für gewisse Verfahren überhaupt, wohin namentlich das Entmündigungsverfahren gehört; außerdem in Gestalt eines umfangreichen Prozeßleitungsamtes, welches in einer größern oder geringern Mitwirkung bei zahlreichen Prozeßakten besteht, so besonders bei Einleitung des Prozesses oder einer höhern Instanz vermöge Ansetzung der Verhandlungstermine, bei Fortführung einer Instanz mittels Anordnung der weitern Verhandlungstermine, mittels Trennung, Verbindung oder Aussetzung von Prozessen und mittels Leitung der Beweisaufnahme, bei öffentlichen Zustellungen, bei Zustellung nicht verkündeter Beschlüsse und Verfügungen, in den Fällen der sog. fakultativen mündlichen Verhandlung (s. d.) und in der Zwangsvollstreckungsinstanz.

Prozeßbevollmächtigter, s. Prozeßvollmacht.

Prozeßeinrede, s. Einrede.

Prozeßfähigkeit, im Civilprozeß die Fähigkeit, einen Prozeß selbst oder durch andere zu führen, prozessuale Handlungen mit Wirksamkeit vorzunehmen. Nach der Deutschen Civilprozeßordnung bildet die P. einen Ausfluß der bürgerlichrechtlichen Handlungsfähigkeit. Danach ist eine physische Person insoweit prozeßfähig, als sie sich durch Verträge verpflichten kann. Diese Fähigkeit bestimmt sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts; jedoch wird die P. einer großjährigen Person nicht dadurch, daß sie unter väterlicher Gewalt steht, die P. einer Frau nicht dadurch, daß sie Ehefrau ist, beschränkt, und finden die Vorschriften über die Geschlechtsvormundschaft auf die Prozeßführung keine Anwendung. Auch sind einzelne Prozeßhandlungen, zu welchen nach Civilrecht eine besondere Ermächtigung nötig wäre, ohne solche gültig, wenn nur die Ermächtigung zur Prozeßführung im allgemeinen ohne solche Ermächtigung statthaft ist. Ein Ausländer wird allemal als prozeßfähig behandelt, wenn er es nach dem Recht des Prozeßgerichts ist, obschon nicht ist nach dem Recht seines Landes. Für einen Prozeßunfähigen hat im Prozesse ein gesetzlicher Vertreter (Vormund, Pfleger, Kurator, Vorstand) als dessen Stellvertreter zu handeln (sog. notwendige Stellvertretung). Der Mangel der P., der Legitimation des gesetzlichen Vertreters, der erforderlichen Ermächtigung zur Prozeßführung ist von Amts wegen vom Gericht zu berücksichtigen. Bei Gefahr im Verzuge kann die prozeßunfähige Partei oder ihr gesetzlicher Vertreter einstweilen zur Prozeßführung zugelassen werden, unter Vorbehalt der Beseitigung des Mangels; das Endurteil darf aber erst, wenn die hierfür bestimmte Frist verstrichen ist, erlassen werden. Soll ein vertreterloser Prozeßunfähiger verklagt werden, so hat ihm bei Gefahr im Verzuge der Vorsitzende des Prozeßgerichts auf Antrag einen besondern Vertreter zu bestellen, bis der gesetzliche Vertreter eintritt. Vgl. Civilprozeßordnung §§. 50‒55.

Prozessieren, einen Prozeß (s. d.) führen.

Prozession (lat.), die in der röm.-kath. Kirche üblichen feierlichen Auf- und Umzüge der Geistlichkeit und des Volks um Kirchen, Altäre oder durch Straßen nach Kirchen und heiligen Plätzen unter Schautragung heiliger Gegenstände, oft mit brennenden Lichtern unter Glockengeläute und Gesang geistlicher Lieder und Gebete, zur Verehrung Gottes und der Heiligen. Sie heißen auch Kreuzgänge, wegen der Kreuze und Fahnen, die herumgetragen werden. (S. auch Bittgänge und Wallfahrten.) Ähnliche P. waren schon bei den Juden, Griechen und Römern üblich. In der kath. Kirche kamen sie seit dem 4. Jahrh. auf. Die feierlichsten P. der kath. Kirche finden am Fronleichnamsfeste und an den Gedächtnistagen der Schutzheiligen statt. Die prot. Kirche kennt keine P. In manchen Staaten, wie in Preußen, ist die Abhaltung von P. außerhalb der Kirchenmauern von besonderer polizeilicher Erlaubnis abhängig.

Prozessionsspinner, Eichenprozessionsspinner (Cnethocampa processionea L., s. Tafel: Schädliche Forstinsekten Ⅱ, Fig. 5 a u. b, beim Artikel Forstinsekten), heißt ein 30‒37 mm spannender, im August fliegender Nachtschmetterling, mit dünn beschuppten braungrauen Vorderflügeln, auf denen zwei dunklere Querbinden stehen, die hellern Hinterflügel haben nur eine verwaschene Binde. Die 30 mm lange Raupe ist unten graugrün, oben blaugrau, mit einem breiten schwarzen Rückenstreifen; auf jedem Leibesring befinden sich 10 braunrote Warzen, die mit langen weißen Haarbüscheln besetzt sind. Jedes dieser Haare ist hohl und am Grunde mit einer Drüse verbunden, die ein der Ameisensäure verwandtes Gift absondert,