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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Venēdig

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Venedig (ehemalige Republik)

Industrie und Handel. Die ehemals sehr berühmte, später bedeutend zurückgegangene Glaswarenfabrikation (Mosaik, Email, Perlen, Spiegel u. a.) ist wieder im Aufblühen begriffen, ebenso die Spitzenindustrie; ferner bestehen Fabriken für Seidenstoffe, Tabak, Seife, Wachs, Kunstmöbel, Gold-, Silber- und Kurzwaren, Uhren, Zündhölzer, künstliche Blumen, Waggons und Maschinen, Sprenggeschosse, Torpedos u. a., Baumwollspinnerei und -Weberei, Dampfmühlen und Schiffbau sowie 12 Banken. Das 15. Jahrh. bezeichnet den Höhepunkt der Macht V.s, es war Mittelpunkt des Welthandels. Der Handel, welcher 1421 nicht weniger als 3345 Schiffe mit 36000 Matrosen und 16000 Bauarbeitern beschäftigte, ging seit der Entdeckung von Amerika und des Seeweges nach Ostindien zurück, hat jedoch durch den Anschluß der Stadt an das oberital. Eisenbahnnetz (1845), durch die Eröffnung der Eisenbahnen nach Kärnten und Tirol sowie des Sueskanals wieder zugenommen; durch die Anlage der Stazione Marittima am Westende der Stadt mit Eisenbahngleisen können die Dampfer unmittelbar auf die Eisenbahn umladen; ferner sind in neuerer Zeit Magazine und Freilager für Durchgangshandel errichtet worden. Der Wert der Einfuhr betrug 1892: 242,577, 1893: 226,688, 1895: 160,277, der Ausfuhr 191,115, 179,142 und 65,577 Mill. Lire. Haupthandelsartikel sind Getreide und Mehl, Garne und Gewebe, Öl, Rohstoffe für Spinnereien, Wein und Branntwein, Metalle, Bau- und Brennholz, Kohlen, Glas- und Kolonialwaren, Rohseide, Früchte, Hanf, Häute und Felle, Schlachtvieh, Fische, Käse, Tabak und Chemikalien. 1895 liefen 3595 Schiffe mit 1227168 Tonnen ein und 3551 Schiffe mit 1243744 Tonnen aus. Hafeneinfahrten für V. sind Malamocco und für Schiffe geringern Tiefgangs Lido. V. hat zahlreiche Dampferverbindungen, namentlich nach der Levante, Ägypten und dem Orient.

Geschichte. S. Venedig, Republik.

Vgl. Cicognara, Diedo und Selva, Fabbricche più conspicue di Venezia (2 Bde., Vened. 1815, 1820); Venezia e le sue lagune (3 Bde., ebd. 1847); Vacani, Della laguna di Venezia (Flor. 1867); Yriarte, Venise. Histoire, art, industrie etc. (Par. 1877); V., histor.-topogr.-artistisches Reisehandbuch (4. Aufl., Triest 1878); Adalbert Müller, V., seine Kunstschätze und histor. Erinnerungen (4. Aufl., Vened. 1876); Tassini, Curiosità Veneziane (3. Aufl., ebd. 1883); Molmenti, Die Venetianer (Hamb. 1886); ders., La vie privée à Venise (3 Bde., Vened. 1895-97); Molinier, Venise, ses arts décoratifs, ses musées (Par. 1889); Gsell-Fels, Venedig (2. Aufl., Münch. 1892); Perl, Venezia (Wien 1894); Balten und Geuter, Venedig (Linz 1895).

Venēdig, Republik bis 1797, dann österr. Provinz bis 1805 und wieder 1814-66, bildete 1805-14 einen Teil des franz. Vicekönigreichs Italien unter Eugen Beauharnais und gehört jetzt als Compartimento Venetien (s. d.) zum Königreich Italien.

Wie die nordwestl. Küste des Adriatischen Meeres, so waren auch die benachbarten Laguneninseln Heraclea, Grado, Malamocco und Chioggia zum Teil schon unter der Römerherrschaft bewohnt von dem wahrscheinlich illyrischen Volksstamm der Veneter. Die Verheerung des Festlandes in der Völkerwanderung und insbesondere die Zerstörung der reichen und stark bevölkerten Städte Aquileja und Padua durch Attila (452) zwang die Bewohner, auf den Fischer- und Schifferinseln eine Zuflucht zu suchen, auf denen nun städtische Gemeinwesen unter selbstgewählten Tribunen entstanden; diese stellten sich nach dem Fall des Ostgotenreichs unter die Hoheit von Byzanz und seines Vertreters, des Exarchen von Ravenna. Nach dem Vorbild der Herzogtümer auf dem Festlande setzten die Inseln 697 einen Dogen (s. d.) über sich, den die 12 Tribunen auf Lebenszeit wählten. Nach einer Zeit der Verwirrung (bis 742) übertrug der neu gewählte Doge Deodato Orso den Sitz der Gemeinderegierung von Heraclea nach Malamocco und schloß mit dem Langobardenkönig Ratchis einen Bund. Mit dem Rückgang der byzant. Macht gewann V. an Unabhängigkeit. Als nicht Karl d. Gr., wie die Sage singt, aber sein Sohn Pippin V. unterwerfen wollte, zog sich die Bevölkerung unter Freigabe von Malamocco, Heraclea, Jesolo, Fossone und Brondolo nur auf die weiter vom Land abliegende feste Insel Rialto (Rivus altus, Hochufer) hinaus, die nun der dicht bevölkerte Mittelpunkt des Gemeinwesens wurde. Hier ward 811 der Leiter der Verteidigung gegen Pippin, Partecipazio, zum Dogen gewählt, welcher der Eifersucht unter den Inseln ein Ende machte, indem er Rialto eine besondere Weihe gab durch Überführung der Gebeine des heil. Markus nach ihr; von diesem Schutzheiligen wurde V. dann später auch die Republik von San Marco genannt.

In der Folgezeit bildete sich dann die für V.s Aufblühen so glückliche Verfassung heraus, in welcher an der Spitze einer Zahl edler Familien und doch gebunden an die Zustimmung des ganzen Volks Einer in der Stellung eines Präsidenten den Staat verwaltete. Erst mit der Umbildung dieser gemäßigt aristokratischen Ordnung zu einem geschlossenen und drückenden Geschlechterregiment begann das Sinken der Republik. Die Machtentfaltung V.s nach außen begann unter Orseolo II., der 991 Doge wurde. Die Kämpfe gegen die Narentanen wurden mit Erfolg geführt und die oft erneuten Aufstände der Dalmatiner, namentlich Zaras, immer wieder niedergeworfen. Der große Kampf des 11. Jahrh. zwischen Kaiser und Papst ließ V. fast unberührt, da die Seestadt von der Heerstraße der deutschen Kaiser, die vom Etschthal über Verona nach der Lombardei führte, abseits lag und der Blick des Papstes durch die mächtigen Patriarchate von Aquileja und Ravenna von dem dazwischenliegenden, kirchlich weniger bedeutenden bloßen Bistum V. (Grado) abgelenkt wurde. Als sich die Normannen von Byzanz losrissen und ein eigenes mächtiges Reich gründeten, wurden die in ihrer Seemacht bedrohten Venetianer die Verteidiger und Bundesgenossen des griech. Kaisertums. Allein durch die Niederlage, welche V. bei Durazzo 1082 gegen Robert Guiscard (s. d.) erlitt, mußte es sich überzeugen, daß es besser sei, mit diesen tapfern Kriegern sich zu verbünden, als sie zu bekämpfen. Schon zum Beginn des 12. Jahrh. schlossen sich die Venetianer den Normannen bei ihrem Vordringen in Palästina an, während sie zugleich unter ihrer Deckung ihre großartige Handelsstellung im Orient, zu dem sie schon bisher ausgedehnte Beziehungen gehabt hatten, ausbauten. Als dann am Ende des 12. Jahrh. die unterital. Normannen in Ermattung zurücksanken und ihr Reich in der Hohenstaufenherrschaft aufging, übernahm V. unter Enrico Dandolo (s. d.) die Führung im Osten, nachdem bereits 1177 Kaiser Friedrich I. (s. d.) seinen Friede mit dem Papst Alexander III. in der Lagunen-^[folgende Seite]