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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Voß

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Voß (Julius von)

erhielt er 1778 durch Übernahme des Rektorats zu Otterndorf im Hannoverschen. Des seiner Gesundheit nachteiligen Klimas wegen verließ er 1782 Otterndorf und ging als Rektor nach Eutin. 1802 begab er sich mit einem Ruhegehalt nach Jena, wo ihn Goethe vergebens zu halten suchte, und folgte 1805 einem Rufe als Professor nach Heidelberg. Er starb 29. März 1826 zu Heidelberg. Am 6. Juli 1883 wurde sein Denkmal von Träger (Bronzebüste auf einem Sockel von schwed. Granit) vor dem Eutiner Gymnasium enthüllt.

V.’ schroffer, unbeugsamer Charakter offenbarte sich besonders in dem Kampfe, den er durch seinen Aufsatz «Wie ward Fritz Stolberg ein Unfreier?» (im «Sophronizon», 1819, Heft 3) entzündete, als sein Jugendfreund Friedrich von Stolberg zum Katholicismus übertrat. Doch setzt dieselbe harte Vernünftigkeit, die ihn hier ungerecht und unduldsam machte, seinem geistigen Horizont überall enge Schranken. Trotzdem dankt Wissenschaft und Kunst ihm vieles. Besonderes Verdienst erwarb sich V. auf dem Gebiete der Altertumswissenschaft, die er zum Teil in ganz neue Bahnen lenkte. So ist hervorzuheben, daß er in seinen Untersuchungen über die älteste Geographie die Zeiten und Momente der geogr. Kenntnisse unterschied, die Quellen sichtete und eine Fülle von Aufschlüssen über den Verkehr und die Produktionen der alten Länder gab. In der Behandlung der Mythologie drang er, im Widerspruch gegen Heyne, gegen den er seine scharfen «Mytholog. Briefe» (2 Bde., Königsb. 1794; 2. vermehrte Aufl., 3 Bde., Stuttg. 1827) richtete, auf strenge histor. Methodik mit Beweis und kritischer Sichtung der Mythenstoffe, daher er nicht nur die Gewähr der Schriftsteller und den histor. Fortschritt jedes Mythus, sondern auch einen naturgemäßen Gang der Geistesentwicklung von Homer an als leitendes Princip aufstellte. Im Gegensatz zu Creuzer schrieb V. seine «Antisymbolik», in der er die symbolisch-mystische Auslegung der antiken Mythologie bekämpfte.

Als Übersetzer entwickelte er eine außerordentliche formale Gewandtheit. Er war ein feiner Kenner des Versbaues und zwang in unermüdlichem Ringen die Sprache überraschend in seine Gewalt; zumal in körniger Kraft und würdevoller Pracht hat er Hohes erreicht. Den ersten Rang unter seinen verschiedenen Übersetzungen behauptet entschieden die der Werke Homers (zuerst vollständig, 4 Bde., Altona 1793; 5. stark verbesserte Aufl., Stuttg. 1833). Es wird indessen die erste Ausgabe der Odyssee (Hamb. 1781; Neudruck, hg. von M. Bernays, Stuttg. 1881) wegen größerer Treue und Natürlichkeit den spätern vorgezogen. Außerdem übersetzte er von alten Dichtern den Virgil («Landbau», Eutin und Hamb. 1789; «Ländliche Gedichte», 4 Bde., Altona 1797‒1800; «Werke», 3 Bde., Braunschw. 1799; 2. verbesserte Ausg. 1821), «Ausgewählte Verwandlungen» des Ovid (2 Bde., Braunschw. 1798; 2. Aufl. 1829), die Werke des Hesiod und des Orpheus (Heidelb. 1806), den Horaz (2 Bde., ebd. 1806; 2. Aufl., Braunschw. 1821), den Theokrit, Bion und Moschus (Stuttg. 1808), den Tibull und Lygdamus (Heidelb. 1810), den Aristophanes, mit erläuternden Anmerkungen von seinem Sohne Heinrich (3 Bde., Braunschw. 1821), die «Sternerscheinungen und Wetterzeichen» des Aratus (Heidelb. 1824), den Homerischen «Hymnus an Demeter» (ebd. 1826) und den Properz (Braunschw. 1830). Auch gab er eine kritische Bearbeitung des Tibull nach Handschriften (Heidelb. 1811), sowie er fast sämtliche von den genannten Übersetzungen mit gediegenen kritischen und erläuternden Anmerkungen ausgestattet hat. Seine Übersetzungen der Schauspiele Shakespeares, die er zugleich mit seinen Söhnen Heinrich und Abraham vollendete (9 Bde., Lpz. und Stuttg. 1818‒29), zeugten von der immer noch rüstigen Kraft des Greises.

Seine selbständigen Gedichte zeigen keine ursprüngliche Dichterkraft; Härten, Schwulst und Plattheiten stören sehr oft; aber auch in ihnen bewährt sich der männliche Geist des Dichters, seine nahe Fühlung mit Volksleben und Volksrede, gepaart mit einem an der Antike geschulten Geschmack. Das beste waren die zum Teil niederdeutschen Idyllen (eine Auswahl derselben bietet Reclams «Universalbibliothek»), zu denen auch sein berühmtestes Werk die «Luise» (Königsb. 1795; vollendete Ausg., Tüb. 1807; in der «Bibliothek der deutschen Nationallitteratur des 18. und 19. Jahrh.», mit Einleitung hg. von Goedeke, Bd. 26, Lpz. 1869; auch in Reclams «Universalbibliothek») gehört. In ihr hat er Geist und Stil der antiken Idylle mit Nachklängen des Homerischen Epos auf deutsches Land- und Familienleben zu übertragen gesucht und hat damit glänzenden Erfolg errungen. V.’ «Sämtliche Gedichte» erschienen in 6 Bänden (Königsb. 1802; hg. von Abraham V., Lpz. 1835 u. ö.; eine Auswahl von Sauer in Bd. 1 des «Göttinger Dichterbundes» in Kürschners «Deutscher Nationallitteratur»). Seine kleinern Schriften erschienen u. d. T. «Kritische Blätter, nebst geogr. Abhandlungen» (2 Bde., Stuttg. 1828). Die «Briefe von Johann Heinrich V., nebst erläuternden Beilagen» (3 Bde., Halberst. 1829‒33) sowie die «Anmerkungen und Randglossen zu Griechen und Römern» (Lpz. 1838) gab Abraham V. heraus. – Vgl. Paulus, Lebens- und Todeskunden über Johann Heinrich V. (Heidelb. 1826); Herbst, Johann Heinrich V. (2 Bde., Lpz. 1872‒76).

Sein ältester Sohn Heinrich, geb. 29. Okt. 1779 zu Otterndorf, studierte zu Halle Philologie, wurde 1804 Lehrer am Gymnasium zu Weimar, folgte 1806 seinem Vater nach Heidelberg als Professor der Philologie und unterstützte ihn in den Übersetzungen des Aristophanes und Shakespeare. Mit einer an Leidenschaft grenzenden Verehrung und Liebe schloß er sich in den letzten Jahren seines Lebens an Jean Paul an, der ihn zum Herausgeber seines litterar. Nachlasses bestimmte. V. starb jedoch schon 20. Okt. 1822 zu Heidelberg. Seine Übersetzung des Äschylos, fortgesetzt von seinem Vater, erschien nach beider Tode (Heidelb. 1826). Der «Briefwechsel zwischen Heinrich V. und Jean Paul» (Heidelb. 1833) und die «Mitteilungen über Goethe und Schiller, in Briefen von Heinrich V.» (3 Bde., ebd. 1833‒38; auch in Reclams «Universalbibliothek») sind herausgegeben worden von seinem jüngern Bruder, Abraham V., geb. 1785 zu Eutin, seit 1810 Professor am Gymnasium in Rudolstadt, seit 1821 am Gymnasium in Kreuznach, gest. 15. Nov. 1847 zu Düsseldorf. Nach seinem Tode erschienen von ihm «Deutschlands Dichterinnen» (Düsseld. 1848).

Voß, Julius von, Schriftsteller, geb. 24. Aug. 1768 in Brandenburg, trat 1782 in preuß. Militärdienste und nahm 1793 als Lieutenant seinen Abschied. Er durchreiste dann Deutschland, Frankreich, Schweden und Italien und ließ sich zuletzt in Berlin nieder, wo er 1. Nov. 1832 an der Cholera starb.