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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Unfallversicherung
teils Versicherungspflichtige, teils versicherungsfreie
Arbeiter vorhanden sind. Auch die an sich versiche-
rungsfreien Arbeiter sollen hier dem Versicherungs-
Mang unterliegen. Das Gleiche soll gelten, wenn
dieselben Arbeiter teils zu Versicherungspflichtigen
(gewerblichen), teils zu versicherungsfreien Geschäften
(häuslichen und sonstigen privaten Diensten) ver-
wendet werden. Für kleinere Unfallrenten wird Ka-
pitalabfindung vorgesehen und die Hinterbliebenen-
unterstützung auf elternlose Enkel ausgedehnt, wie
auch die Unfallunterstützung unter Umständen schon
vor der 14. Woche soll geleistet werden müssen.
Endlich soll die Nachprüfung thatsächlicher Fragen
im Rekursverfahren der dem Reichs- und den Lan-
desversicherungsämtern im Interesse der Entlastung
dieser Amter möglichst eingeengt werden.
In Finland hat Kaiser Nikolaus II. durch Gesetz
vom 5. Dez. 1895, betreffend die Verantwortlichkeit
des Arbeitgebers für Körperbeschädigungen der
Arbeiter (Gesetzsammlung Nr. 44, deutsch in "Ar-
beiterversorgung", 1896, S. 117 fg.), eine eigenartige
Versicherung gegen Betriebsunfälle, welche 1. Jan.
1898 in Kraft treten soll, angeordnet. Der Begriff
des Betriebsunfalls ist darin negativ bestimmt: es
füllt nicht darunter ein Schade, der vorsätzlich oder
durch grobes Verschulden des Beschädigten selbst
oder auch vorsätzlich von einer andern Person als
der, welche die Leitung und Aufsicht bei der Arbeit
hat, oder der durch höhere Gewalt oder andere Er-
eignisse verursacht ist, welche mit der Beschaffenheit
der ausgeführten Arbeit oder den Verhältnissen,
unter denen sie betrieben wird, in keinem Zusammen-
hange stehen. Die Versicherungspflichtigen Betriebe
werden einzeln aufgeführt: es gehören darunter ins-
befondere die Großindustrie, die Transportgewerbe,
zahlreiche Vauarbeiten, die Schornsteinfeger u. a. m.
Staats- und Kommunalbetriebe sind der Versichc-
rungspflicht nicht unterworfen.
Der Versicherungszwang richtet sich nur gegen die
Arbeitgeber; diese sind verpflichtet, ihren Arbeitern
(exklusive der Betriebsbeamten) oder deren Rechts-
nachfolgern für den Eintritt eines Unfalls gegen
Invalidität und Tod eine Entschädigung sicher
zu stellen, und zwar durch Versicherung derselben bei
gewissen Anstalten, nämlich a. einer vom Staat in
Finland einzurichtenden Anstalt, d. bei in- und aus-
ländischen Unfallversicherungsanstalten, sofern der
Senat dies nach Prüfung ihrer Organisation und
Leistungsfähigkeit gestattet. Ausnahmsweise kann
der Arbeitgeber mit Zustimmung des Senats auch
selbst die Sicherstellung seiner Arbeiter übernehmen
und ist alsdann von der Versicherungspsticht befreit,
muh aber bei Eintritt des Unfalls die Entschädi-
gung durch Übertragung der Haftungsvflicht auf
eine finland. Leibrentenanstalt sicher stellen; das
Gleiche gilt, wenn der Versicherungspflicht nicht ge-
nügt werden kann, weil sich keine den Versicherungs-
vorschriften entsprechende Anstalt im Lande befindet.
Die Entschädigung besteht: bei vorübergehender
völliger Erwerbsunfähigkeit, vom siebenten Tage
nach dem Unfall ab, in einer Rente von 60 Proz.
des täglichen mittlern Arbeitsverdienstes, jedoch
höchstens 2 M. 50 Pf. täglich, bei teilweiser in
einer verhältnismäßigen Quote; bei dauernder voll-
ständiger Invalidität in einer Jahresrente von
60 Proz. des wirklichen frühern Jahresverdienstes,
bei teilweiser in einer verhältnismäßigen Quote. In
beiden Füllen ist der Arbeitsverdienst nach bestimm-
ten Vorschriften zu berechnen, und zwar nicht unter
300 M. und nicht über 720 M. jährlich. Hat der
Unfall den Tod zur Folge, so beträqt die Witwen-
rente 20 Proz., die Rente für jede Waise bis zum
15. Lebensjahr, falls noch einer der Eltern lebt,
10 Proz., falls beide tot sind, 20Proz.; die gesamten
Hinterbliebenenrenten dürfen aber 40 Proz. nicht
übersteigen. Der Arbeiter muh sich bis zur Heilung
an Stelle der Rente mit der Verpflegung in einem
Krankenhause begnügen, während der Ehegatte und
die Kinder inzwischen eine der Witwen- und Waisen-
rente gleichkommende Unterstützung beziehen.
In der Schweiz wird, wie schon bisher in Ver-
bindung mit einem Krankenkassengesetzentwurf, der
Bundesversammlung im März 1897 der 1895 und
1896 unerledigt gebliebene, abgeänderte Entwurf
eines Unfallvcrsicherungsgesetzes vorgelegt werden.
Derselbe unterscheidet sich von der deutschen Gesetz-
gebung dadurch, daß er für die untern Organe der
U. vollkommene Verbindung mit der Krankenver-
sicherung vorschlägt, also nur territoriale, nicht
berufsgenossenschaftliche Gliederung der U. will.
Oberste Instanz soll die vom Bund für die ganze
Schweiz errichtete Unfallversicherungsansta^Mittel-
instanz eine für Versicherungszwecke errichtete Kreis-
behörde, unteres Ausführungsorgan die territoriale
Krankenkasse (Versicherungsgemeinde) sein, so daß
also die Krankenkassenmitglieder zugleich Mitglieder
der U. sind. Die Versicherung soll sich nicht bloß auf
Betriebsunfälle, sondern auch auf andere Unfälle,
die den Tod, Invalidität oder eine mehr als sechs-
wöchige Krankheit zur Folge haben, erstrecken und
alle in wirtschaftlichen Betrieben unselbständig Er-
werbenden (also auch Handwerk und Gesindedienst),
jedoch im Gegensatz zur Krankenversicherung nur
Versicherungspftichtige, nicht auch freiwillige Mit-
glieder umfassen. Die Unterstützung besteht in
Kranken- und Veerdigungsgeld, bei Tod und Inva-
lidität in Rente. Die Beiträge (Prämien) sollen zu
einem Viertel vom Bund ("Bundesviertel"), der
Rest von den Arbeitgebern aufgebracht werden. Der
Entwurf findet von partikularistischem und konfessio-
nellem Standpunkt aus Bekämpfung. Schwierig-
keiten bereitet auch die Aufdringung des Bundes-
viertels. Man denkt an das nichts weniger als
volkstümliche Tabaksmonopol.
In Frankreich steht die obligatorische U. schon
seit 16 Jahren in Vorbereitung; der Entwurf, den
die gesetzgebenden Faktoren zuletzt (1896) behandel-
ten, datiert von 1895.
Die privateU., im Gegensatz zu der in Deutsch-
land und andern Kulturstaaten staatlich organisierten
sogenannten U. der Arbeiter u. s. w. gegen Betriebs-
unfälle, ist in den gebräuchlichen Formen eine Art
der Lebensversicherung, und zwar der einfachen Ver-
sicherung auf den Todesfall, wenn der Versicherer im
Falle des durch einen Unfall irgend welcher oder
einer bestimmten Art herbeigeführten Todes des Ver-
sicherten eine bestimmte Summe zu zahlen verspricht:
oder sie nähert sich der Rentenversicherung und mischt
sich mit Elementen der Schadenversicherung, wenn
sie der durch den Unfall zeitlich oder dauernd (durch
Krankheit oder Invalidität als Folge des Unfalls)
herbeigeführten Erwerbsstörung durch Gewährung
von Ersatz der Kurkosten oder Zahlung einer Rente
abzuhelfen bezweckt.
Die U. gehört mit der modernen Transportver-
sicherung zu jenen jüngern Formen der Versicherung,
deren Notwendigkeit aus der enormen Entwicklung
des Verkehrs, speciell des Reiseverkehrs, in der