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Merck's Warenlexikon

Autorenkollektiv, Verlag von G. A. Gloeckner, Leipzig, Dritte Auflage, 1884

Beschreibung der im Handel vorkommenden Natur- und Kunsterzeugnisse unter besonderer Berücksichtigung der chemisch-technischen und anderer Fabrikate, der Droguen- und Farbewaren, der Kolonialwaren, der Landesprodukte, der Material- und Mineralwaren.

Schlagworte auf dieser Seite: Seide

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Seide - Seide

dern setzt gewöhnlich gleich 10% Wassergehalt voraus. - Bei der Herstellung der eigentlichen aus langen Kokonfäden zusammengesetzten S. entstehen eine Reihe Abfälle, welche unter dem Namen Floret- od. Flockseide (frz. fleuret, filoselle; ital. filosello; engl. floret-silk) zusammengefaßt werden und das Rohmaterial für eine der interessantesten und wichtigsten Abfallindustrien liefern. Die beste Sorte der Floretseide kommt von Doppelkokons, welche, da sie zwei Puppen enthalten und zwei in einander gewachsene Kokons darstellen, gar nicht oder nur schwer abhaspelbar sind. Ferner gehören dazu die Kokons, welche von der Raupe so gewickelt wurden, daß das Abwickeln viel Zeit erfordern würde. Man reißt diese und die Doppelkokons, nachdem sie in heißem Wasser erweicht sind, einfach mit der Hand auseinander, nimmt die Puppe heraus und bildet aus den Bärten Vließe von größerer Länge. Die zweite Sorte der Floretseide wird gebildet durch die bei dem Abhaspeln übrig bleibenden pergamentartigen Häutchen, welche erweicht, zerrissen, gekratzt und gekämmt werden und Stamm = Crescentinstamm (frz. cardette; ital. stame) liefern, aus dem das Crescentingarn gesponnen wird. Ein Teil läßt sich nicht kämmem Diesen nennt man Chappe (frz. chappe; ital. chiape). Das Material wird zur Zerstörung des die Fasern zusammenhaltenden Leimes einem Fäulnisprozeß unterworfen und nun spinnbar. Zu derselben Sorte Floretseide gehört die lose wirre Fadenmasse, welche die äußerste Schicht des Kokons bildet und erst abgezogen werden muß, wenn man den Fadenanfang sucht. Die geringste Sorte Floretseide liefern die von den Reißern abgezogenen Faden, mit welchen die Raupe den Kokon befestigt hatte. Sie sind sehr lose und finden zu Wattseide Verwendung. Endlich unterscheidet man noch Strazza (frz. estrasse), das sind die Abfälle bei der Verarbeitung der Rohseide zu Organsin und Trama, Seidenwerg od. Stumpen (frz. bourre de soie; ital. stumba pestenuzzi), d. i. der Abfall bei dem Kämmen der gefäulten Kokons, aus welchem das Bourrettegarn gesponnen wird. Im Handel und für die Fabrikation der Floretseide unterscheidet man vier Hauptklassen: Strussi, d. s. die nicht abhaspelbaren Kokons, Strusa, d. i. der Abfall beim Abhaspeln der Kokons, Strazza, d. i. der Abfall beim Moulieren der Rohseide und Kokons, d. s. Kokons, welche aus irgend einem andern Grunde als die zu Strussi gehörigen Doppellkokons und durchbissenen Kokons nicht zum Abhaspeln geeignet sind. Der Haupthandelsplatz für die Floretseide ist Marseille, der Hauptsitz der Spinnerei dagegen die Schweiz. Die gesponnene Floretseide ist ein wirkliches Garn, entstanden durch Zusammendrehen kürzerer und längerer Fasern. Die Floretgarne erreichen aber nie die Glätte und den Glanz der filierten S. Die bei der Verspinnung der Floretseide vorzunehmenden Arbeiten sind: Fäulen, Waschen, Auflockern und Kämmen, Präparieren und Vorspinnen, Feinspinnen, Zwirnen und Putzen der Garne. Die Garne führen sehr verschiedne, häufig provinzielle Namen; die Nummer derselben gibt an, wie viel Strähn von 500 m auf 0,5 kg gehen. - Was die Beteiligung der verschiednen Länder am Seidenbau anlangt, so steht das alte Stammland desselben, China, allen andern weit voraus. Die S. bildet dort den Hauptausfuhrartikel im Handel mit Europa. Der Maulbeerbaum gedeiht in allen Provinzen des großen Reiches, die nördlichsten Teile ausgenommen, und überall wird S. gewonnen. Die Baumpflanzungen (weißer Maulbeerbaum im Norden und schwarzer im Süden) bilden ganze Wälder; mit der Kultur beschäftigen sich Millionen kleiner Landwirte, wie in der Lombardei; nichts gleicht der Liebe und Sorgfalt, womit der Chinese seine Raupen pflegt. Es gibt verschiedne Rassen des Maulbeerspinners, deren Periode in verschiedne Zeiten des Jahres vom April bis November fällt. Zur Zeit der Ernte senden die großen Kaufleute der Hauptstädte Agenten nach allen Teilen des Landes zum Aufkauf der kleinen Posten, die nach ihren verschiednen Qualitäten sortiert und gewöhnlich in Ballen zu 80 Catties oder ungefähr 53 kg verpackt werden. In den Ausfuhrhäfen lassen die Handelshäuser die Ware nochmals prüfen und für den europäischen Markt sortieren. Die Hauptexportplätze sind Schanghai und Canton und die Ware scheidet sich hiernach in die Hauptsorten Canton und Nanking, die erstere aus der Provinz Canton, die andre, viel bessere und doppelt so teuere, aus der Provinz Kiang-nan. Die Ausfuhr an Rohseide aus China hat 1876 4480000 kg, 1878 rund 4 Mill. kg betragen. Neunzehntel der ganzen Ausfuhr gehen nach London und Marseille; der Bezug chinesischer S. ist immer im Steigen, einmal hervorgerufen durch die mit verwüstender Hand in den europäischen Seidenzüchtereien periodisch auftretenden Seuchen, dann aber wegen der Qualität der Ware, die sie für gewisse Artikel besonders geeignet und selbst unentbehrlich macht. Die hauptsächlichen, die S. bei den europäischen Fabrikanten beliebt machenden Eigenschaften sind ihre Stärke und ihr schöner Glanz. Es fehlt nur die Gleichmäßigkeit des Fadens, da die Chinesen beim Haspeln nicht darauf achten, wie viel Kokonfäden sie zusammenfassen. Wenn dieser Mangel abgestellt werden kann, so wird der Begehr nach chinesischer Ware noch ganz andre Dimensionen annehmen, und es ist nach Ansicht Sachverständiger möglich, daß hierdurch die ganze europäische Seidenzucht als entbehrlich in Wegfall kommen kann, denn der chinesische Seidenbau hat so großartige Dimensionen und zeigt sich so erweiterungsfähig, daß er außer dem eigenen Bedarf noch die ganze übrige Welt mit S. versehen kann. Hierzu tritt als Lieferant noch Japan, dessen Exporte, teils direkt, teils über Schanghai, auch recht bedeutend sind; so 1876 1055400 kg, 1878 925000 kg Rohseide. - In Ostindien wird Seidenindustrie fast ausschließlich in Bengalen und Begu betrieben. Die italienische Haspelmethode wurde dort von der Ostindischen Kompanie schon im vorigen Jahrhundert eingeführt, was der Qualität der Ware sehr zu statten kam; anderweite Fortschritte sind indes nicht zu bemerken; die Rohseide sowohl als die indischen Seidenwaren sind geringer als die chinesischen.