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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

48 ^[Seitenzahl nicht im Original]

Indien.

Das "Wunderland" und seine Völker. Es giebt wohl keine größere Schrift über Indien, in welcher nicht mindestens einmal der Ausdruck "Wunderland" vorkäme. Daß ein Gebiet, welches siebenmal so groß ist wie das Deutsche Reich, in welchem es etwa 18 Schriftsprachen und 14 Alphabete giebt, abgesehen von den Naturerscheinungen auch hinsichtlich der Kultur des Merkwürdigen genug bieten muß, ist gar nicht wundersam. Von jeher hat auch Indien die Einbildungskraft der Europäer beschäftigt, was vielfach zu übertriebenen Vorstellungen führte. Daß dort die Urheimat des ganzen Menschengeschlechtes zu suchen sei, glaubt im Ernste heute wohl niemand. Auch hinsichtlich des Alters der Kultur hegt man jetzt andere Ansichten. Mancherlei spricht für die Annahme, daß Indien vor den jetzt dort Ansässigen von einer Urrasse besiedelt war, deren Reste in einigen rätselhaften Stämmen der Berglandschaften zu finden wären. Dann wurde die Dravida-Rasse im ganzen Gebiete herrschend, die heute nur noch den Süden und Osten der ostindischen Halbinsel inne hat. Im dritten Jahrtausend v. Chr., vielleicht auch später - die Annahmen schwanken zwischen 4000 bis 1500 - brachen von Nordwesten her Indogermanen ein, die Aryas, d. h. "Herren", welche die Dravidas im Norden und Nordwesten unterwarfen, im Laufe der späteren Zeit aber sich vielfach mit den besiegten Stämmen vermischten, aus welcher Vermengung sich die verschiedenen Hinduvölker ergaben.

In der geschichtlichen Zeit kamen dann neue Volksteile hinzu; die Nachfolger Alexanders d. Gr., welche auf dem Hochlande Iran ein Reich begründet hatten, eroberten die Grenzländer; im 1. Jahrhundert v. Chr. gelangten turanische Fürsten, der hochasiatischen Rasse angehörig, in Nordindien zur Herrschaft, und 1526 gründete der Mongolenfürst Babar, ein Nachkomme Timur Leng's, das große Kaiserreich der Großmoguls.

Indische Kultur. Diese wenigen Andeutungen genügen, um erkennen zu lassen, daß die indische Kultur wiederholt verschiedenen Einflüssen unterlag und viel Fremdes in sich aufnahm. Dies zeigt sich natürlich besonders deutlich in den bildenden Künsten; das Eigen-Indische in denselben wird von dem Fremden überwuchert. Sie sind auch verhältnismäßig jung und für die allgemeine Entwicklung der Kunst ohne Bedeutung, da sie nur von Westen her Anregungen empfingen, aber keine gaben.

Schrifttum. Als Beweis für eine uralte hohe Kultur der Hindu wird das Schrifttum angeführt, in welchem eine in der That reichentwickelte Dichtkunst sich zeigt. Das

^[Abb.: Fig. 50. Flachbild des Cyrus.

Von einem Pfeiler aus Pasargadae.]