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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Barthélemy; Barthélemy Saint-Hilaire

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Barthélemy - Barthélemy Saint-Hilaire.

Barthélemy, 1) Jean Jacques, franz. Altertumsforscher, geb. 20. Jan. 1716 zu Cassis in der Provence, studierte zu Marseille Theologie, widmete sich aber bald antiquarischen, besonders numismatischen, Studien, fand 1745 eine Anstellung am königlichen Münzkabinett zu Paris und wurde 1753 Direktor desselben. Eine Reise durch Italien (1754-57) in königlichem Auftrag bot ihm nicht bloß reiche Gelegenheit zu Erwerbungen für das Kabinett und zur Erweiterung seiner eignen Kenntnisse, auf ihr gewann er auch die Gunst des Grafen Stainville, nachmaligen Ministers Choiseul, der ihm später reiche Jahrgelder zuwandte, so daß er ganz seinen Studien leben konnte. Bald war das Pariser Münzkabinett eine der reichsten und geordnetsten Sammlungen dieser Art; die Herausgabe eines gelehrten Verzeichnisses wurde nur durch die Revolution vereitelt. Am 2. Sept. 1793 wurde er, von einem neidischen Bibliothekbeamten aristokratischer Gesinnung angeklagt, ins Gefängnis geworfen. Zwar ward er schon nach 16 Stunden befreit, doch lebte er von nun an in völliger Zurückgezogenheit, schlug die Stelle eines Oberbibliothekars der Nationalbibliothek aus und starb 30. April 1795. Er war seit 1747 Mitglied der Akademie der Inschriften. Europäischen Ruhm erwarb sich B. durch sein Buch "Voyage du jeune Anacharsis en Grèce" (Par. 1788, 4 Bde. mit Atlas; sehr oft wieder gedruckt, zuletzt 1881, 3 Bde.; deutsch von Biester, Berl. 1792-93, 7 Bde., sowie von Fischer und Th. v. Haupt, 2. Ausg., Mainz 1836, 7 Bde.), worin er auf Grund mühsamer und gründlicher Forschungen in anmutiger Einkleidung ein im ganzen treues und lebensvolles Bild der sozialen Zustände Griechenlands in seiner Blütezeit gab. Sonst nennen wir: "Réflexion sur quelques monuments phéniciens" (Par. 1750) und "Reflexion sur l'alphabet et la langue de Palmyre" (das. 1754). Als Romandichter versuchte er sich in den angeblich aus dem Griechischen übersetzten "Amours de Carite et de Polydore" (Par. 1760; deutsch, Lemgo 1799). Seine "Œuvres diverses" sammelte Sainte-Croix (Par. 1798, 4 Bde.; 1823, 2 Bde.; deutsch, Leipz. 1790, 2 Bde.). Die erste Gesamtausgabe seiner Werke besorgte Villenave (Par. 1821, 4 Bde., mit Biographie).

2) François, Marquis de, franz. Staatsmann, Neffe des vorigen, geb. 20. Okt. 1747 zu Aubagne, trat unter Ludwig XVI., begünstigt durch den Herzog von Choiseul, in den diplomatischen Dienst und war Sekretär an mehreren Gesandtschaften, bis er 1791 als bevollmächtigter Minister nach der Schweiz geschickt wurde. Hier schloß er 1795 den Frieden von Basel mit Preußen und mit Spanien. 1797 kehrte er nach Paris zurück, da er wegen seiner gemäßigten Richtung vom Rate der Alten an die Stelle Letourneurs zum Mitglied des Direktoriums gewählt worden war. Doch wurde er durch den Staatsstreich vom 18. Fructidor (4. Sept. 1797) schon wieder gestürzt und nach Cayenne deportiert, von wo er aber bald nebst sechs Gefährten nach England entkam. Nach dem 18. Brumaire (9. Nov. 1799) vom Ersten Konsul zurückberufen, ward er 10. Febr. 1800 zum Mitglied des Senats, dann zum Vizepräsidenten desselben und zum Reichsgrafen ernannt. 1802 stand er an der Spitze der Deputation des Senats, welche Bonaparte das lebenslängliche Konsulat übertrug; doch war er unter der kaiserlichen Regierung ohne Einfluß. Im April 1814 präsidierte er im Senat, als dieser die Absetzung des Kaisers aussprach, und ward nach der Restauration Pair und Großoffizier der Ehrenlegion. Napoleon strich ihn 1815 von der Pairsliste; die zweite Restauration entschädigte ihn durch die Ernennung zum Staatsminister und Marquis. 1819 beantragte er, das Wahlgesetz von 1817 durch die Beschränkung des Wahlrechts im Sinn der Ultras zu ändern, was ihn sehr unpopulär machte, so daß er sich zum Rückzug aus dem politischen Leben bewogen sah. Er starb 3. April 1830.

3) Auguste Marseille, franz. Dichter, geb. 1790 zu Marseille und im Jesuitenkollegium zu Juilly erzogen, kam 1822 mit seinem Freund Méry nach Paris und schrieb in Gemeinschaft mit ihm eine Anzahl Satiren gegen die Bourbonen, welche durch ihren beißenden Spott, durch die Lebendigkeit und Leichtigkeit ihrer Verse einen großen Leserkreis gewannen. Dahin gehören: "La Villéliade" (1826), "Les Jésuites" (1826), "Rome à Paris" (1826), "La Corbiéréide" (1827), "La Peyronéide" (1827) u. a. Der Kultus Napoleons verband sich ganz natürlich mit diesen Bestrebungen; die Frucht davon war das historische Epos "Napoléon en Égypte" (1828 u. öfter), worin die poetische Seite dieses wunderbaren Feldzugs sehr geschickt aufgefaßt ist. Um es dem Herzog von Reichstadt selbst zu überreichen, begab sich B. nach Wien, wurde aber nicht vorgelassen und rächte sich durch das Gedicht "Le fils de l'homme, ou souvenirs de Vienne" (1829), das ihm eine dreimonatliche Haft zuzog. Nach der Julirevolution setzte B. seine Opposition noch zwei Jahre fort; er veröffentlichte mit Méry den Triumphgesang "L'Insurrection" (1830), eine seiner gelungensten Leistungen, und "La Dupinade, ou la révolution dupée" (1831), dann, nachdem Méry sich von ihm getrennt hatte und als Bibliothekar nach Marseille gegangen war, seine "Douze journées de la Révolution" (1832), worin zwölf wichtige Tage der ersten Revolution gefeiert werden, und gründete die satirische Wochenschrift "Némésis" (1831 u. öfter; in Buchform 1834, 1878), welche ein Jahr lang die heftigsten Angriffe gegen die Regierung richtete und unglaubliche Popularität genoß. Um diese Angriffe zum Schweigen zu bringen, sah sich die Regierung gezwungen, B. zu erkaufen, und von diesem Augenblick an wandte sich die öffentliche Meinung von ihm ab. Er versuchte umsonst, durch sein Gedicht "Ma justification" (1832) sich rein zu waschen; seine Rolle war ausgespielt. Er schrieb nun noch Übersetzungen der "Äneide" und des lateinischen Gedichts von Fracastor über die "Syphilis", das Gedicht "La Bouillotte" u. a., versuchte auch mehrmals, zur Satire zurückzukehren mit "La nouvelle Némésis" (1844-1845) und "Le Zodiaque" (1846), feierte unter Napoleon III. jedes Ereignis mit einem Dithyrambus (z. B. "Le deux décembre", 1852; "Le bombardement d'Odessa", 1854; "L'Exposition", 1855; "La Tauride", 1856, etc.), ohne jedoch viel Beifall zu finden. Er starb 23. Aug. 1867 in Marseille. Die poetischen Werke Barthélemys erschienen mit denen Mérys in einer Ausgabe (Par. 1833, 6 Bde.).

Barthélemy Saint-Hilaire (spr. ssängt-ilar), Jules, franz. Gelehrter und Staatsmann, geb. 19. Aug. 1805 zu Paris, erhielt nach vollendeten Studien eine Stelle im Finanzministerium, war aber auch zugleich als liberaler Publizist (Mitarbeiter am "Globe", "National" etc.) thätig, bis er Ende 1833 der Publizistik entsagte, um sich ausschließlich wissenschaftlichen Arbeiten zu widmen. Seine Übersetzung des Aristoteles (s. unten) verschaffte ihm die Professur der griechischen und römischen Philosophie am Collège de France, die er zu Anfang 1838 antrat.