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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Belgien

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Belgien (Geschichte 1830-1841).

gesinnte Flüchtlinge aus Frankreich verstärkten Revolutionspartei eine provisorische Regierung gebildet, worauf 23. Sept. der Angriff des Prinzen Friedrich der Niederlande auf Brüssel erfolgte. Nach viertägigem Kampf mußten sich die holländischen Truppen mit bedeutendem Verlust nach Mecheln zurückziehen; von den Insurgenten waren etwa 600 gefallen. Nun wurde von einer neuen Regierung, an welcher Rogier, Graf Mérode, van de Weyer, Potter u. a. sich beteiligten, 4. Okt. die Unabhängigkeit Belgiens erklärt. Diese Erklärung wurde 10. Nov. von dem Nationalkongreß unter de Potters Vorsitz wiederholt, nachdem das schreckliche und nutzlose Bombardement Antwerpens durch den holländischen General Chassé (27. Okt.) den nationalen Haß und die Erbitterung zwischen den Belgiern und Holländern so gesteigert hatte, daß eine Versöhnung nicht mehr möglich war. Das Haus Oranien wurde vom Thron ausgeschlossen, aber nicht, wie de Potter beantragte, die Republik proklamiert, sondern auf Antrag des Präsidenten Surlet die Errichtung einer konstitutionellen Monarchie unter einer neuen Dynastie mit 187 gegen 13 Stimmen beschlossen. Die in London inzwischen zusammengetretene Konferenz der Vertreter von Österreich, Preußen, Rußland und England erkannte die Auflösung des Vereinigten Königreichs unterm 20. Dez. 1830 an; dagegen wurden die Bestimmungen der Konferenz in betreff der Grenzregulierung, wonach Holland die Grenzen von 1790 erhalten sollte, von B. nicht angenommen, hierauf von der Konferenz bedeutend modifiziert und als neue Grundlage die sogen. 18 Artikel vereinbart, worin besonders das Verhältnis Belgiens zum Deutschen Bund wegen des von B. beanspruchten Luxemburg näher bestimmt war.

Währenddessen hatte der Kongreß zu Brüssel 7. Febr. 1831 die neue Verfassung vollendet und bis zur Wahl eines Königs Surlet zum provisorischen Regenten ernannt. Nachdem die Kandidatur des Herzogs von Nemours sowie die des Herzogs von Leuchtenberg an dem Widerspruch der Konferenz der Mächte gescheitert war, wurde 4. Juni der Prinz Leopold von Sachsen-Koburg trotz des Protestes des katholischen Klerus mit großer Majorität (mit 142 unter 196 Stimmen) zum König erwählt. Er nahm die Krone an unter der Bedingung, daß die 18 Artikel zu Recht beständen, hielt 21. Juli 1831 seinen Einzug in Brüssel und leistete den Eid auf die neue Verfassung; durch seine Vermählung mit einer Tochter Ludwig Philipps sicherte er sich die einflußreichen französischen Sympathien. Aber noch einmal kam es zu blutigem Konflikt. Holland verwarf die 18 Artikel, von neuem rückten holländische Truppen unter dem Prinzen von Oranien in B. ein, schlugen und zersprengten die belgischen bei Hasselt u. Löwen (August 1831), und erst nach dem Einrücken französischer Hilfstruppen unter dem Marschall Gérard und auf das Andringen der Gesandten Englands und Frankreichs zogen sich die holländischen Truppen wieder über die Grenze zurück. Doch beharrte Holland auch jetzt noch bei seiner Verwerfung der 18 Artikel und lehnte selbst die von der Konferenz 6. Okt. beschlossenen und für endgültig erklärten und von B. angenommenen 24 Artikel ab, wonach Luxemburg und Limburg unter Holland und B. geteilt werden und letzteres jährlich 8,400,000 Fl. als Zinsen seines Anteils an der holländischen Staatsschuld bezahlen sollte. Diese Renitenz bewog die Konferenz zur Ergreifung von Zwangsmaßregeln gegen Holland: eine englisch-französische Flotte blockierte die Schelde und die holländische Küste, und 15. Nov. 1832 rückten abermals französische Truppen unter dem Marschall Gérard in B. ein. Dieselben eroberten nach 24tägiger Belagerung im Dezember die noch von den Holländern besetzte Citadelle von Antwerpen. Da Österreich, Preußen und Rußland den Traktat der 24 Artikel noch nicht ratifiziert hatten, so schlossen England, Frankreich und Holland 31. Mai 1833 einen Präliminarvertrag ab, welcher auf beiden Seiten den gewaltsamen Maßregeln ein Ende machte. Aber eine definitive Entscheidung kam auch jetzt noch nicht zu stande, sondern der sogen. Status quo dauerte noch fünf Jahre lang, und währenddessen blieb Holland vorerst im Besitz der die Schelde beherrschenden Forts Lillo und Liefkenhoek; B. dagegen behielt Luxemburg, außer der Festung, und Limburg. Noch einmal, Ende 1837, kam es zu kriegerischen Rüstungen, da Holland auf den Grunewald, der innerhalb des Festungsrayons von Luxemburg lag, Anspruch machte; doch wurde der Streit durch Intervention Englands und Frankreichs beigelegt. So sah sich das Haager Kabinett doch zuletzt (14. März 1838) zur Annahme der 24 Artikel genötigt. Da nun aber damit die Räumung Limburgs und eines Teils von Luxemburg von seiten Belgiens erfolgen mußte, welche Volk, Kammer und Regierung einmütig verweigerten, so drohte der Krieg noch einmal auszubrechen. Schon wurden Truppen zusammengezogen und der polnische General Skrzynecki an die Spitze des belgischen Aufgebots gestellt, als wieder das energische Auftreten der Großmächte, welche die immerwährende Neutralität Belgiens garantiert hatten, einen Zusammenstoß verhinderte; aber erst 16. Febr. 1839 nahmen die belgischen Kammern den 24-Artikel-Vertrag definitiv an. Luxemburg und Limburg wurden danach zwischen B. und Holland geteilt. Eine für B. etwas günstigere Vereinbarung hinsichtlich seines Anteils an der holländischen Staatsschuld kam erst 18. Okt. 1842 zu stande. So war endlich der äußere Bestand des Königreichs reguliert worden.

Die innere Entwickelung der Verhältnisse in B. wurde beherrscht durch den Gegensatz zwischen der liberalen und der klerikalen Partei, welche sich zum Sturz der holländischen Herrschaft vereinigt hatten, von da an aber notwendig in Feindschaft geraten mußten, als beide bei der innern Gesetzgebung namentlich im Unterrichtswesen ihre Prinzipien zur Geltung zu bringen suchten. Der Kampf begann schon unter dem 1834 gebildeten, wesentlich der katholischen Richtung zugeneigten Ministerium de Theux-Muelenaere; die frühere Union löste sich auf, der Klerus ward in der "Revue nationale" heftig angegriffen, so daß es sogar an mehreren Orten zu tumultuarischen Auftritten kam. So mußte das Ministerium im März 1840 seine Entlassung geben und wurde durch das liberale Ministerium Lebeau-Rogier ersetzt, welches ein Amnestiegesetz erließ, aber auch bald genug auf Opposition stieß. Eine Adresse des Senats an den König vom 17. März 1841, worin derselbe aufgefordert ward, die zur Beseitigung des Zwiespalts im Schoß der Nationalrepräsentation dienlichen Mittel zu ergreifen, war im wesentlichen ein Mißtrauensvotum gegen das Ministerium, und als der König nicht zur Auflösung der Kammern oder wenigstens des Senats schritt, trat das Ministerium (April) zurück, und ein neues, sogen. gemäßigt liberales, das aber ein Transaktionskabinett im Sinn der alten Union war, wurde durch Nothomb gebildet, 1841 und wieder 1843. Allein der Kampf dauerte fort und äußerte sich bei den Wahlen der Abgeordneten in sehr erregter