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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Englische Litteratur

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Englische Litteratur

spätere Zeit fallen die philos. Dichtungen Godwins, die auf die Bildung einer neuen Schule einwirkten, wie Horace Walpoles romantisches "Castle of Otranto" und die phantastischen Schöpfungen der Radcliffe und Porter sich zu den unübertroffenen histor. Gemälden Walter Scotts veredelten. Seine Romane haben den Vorzug einer vortrefflichen Charakterschilderung; die Darstellung ist klar und lebendig, seine Beschreibungen des Landlebens und ländlicher Zustände sind anschaulich und treu, dabei verfügt Scott über einen trefflichen Humor, obwohl er stets den größten sittlichen Ernst zeigt.

Es lag in der Natur der Verhältnisse begründet, daß die während der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. aus Frankreich eingeführte Strömung der geschraubten, gekünstelten, gefeilten Dichtung eine Gegenströmung erzeugte, die wieder zurücklenkte nach den einfachen Formen wahrer, natürlicher Poesie. Dieser Umschwung trat ein mit Percys "Reliques of ancient English poetry", Macphersons "Ossian" und Chattertons Nachbildungen altengl. Dichtungsformen, wie auch durch das Wiederaufleben Shakespeares in England. Als erster Vertreter der neuen Richtung, welche die Fesseln der franz. Unnatur sprengte und die Phantasie in ihre Rechte zurückführte, ist Cowper (1731-1800) zu bezeichnen. Als dann später die Einwirkungen der Französischen Revolution und der deutschen transcendentalen Philosophie sich in England fühlbar machten, stand zu Beginn des 19. Jahrh. die neue poet. Schule in voller Blüte. Byron, Thomas Moore, Shelley, Walter Scott, Wordsworth, Coleridge, Southey und Campbell sind ihre berühmtesten Namen. Byrons gewaltiger Dichtergeist bekundete sich in seinem "Childe Harold", Moores zarte Melodie in "Lalla Rookh", Shelleys stürmische Leidenschaft in seinen Tragödien. Scott ließ in seinem "Lay of the last minstrel" und der "Lady of the lake" die Eigenschaften ahnen, die er später in seinen Waverley-Romanen so glänzend entwickelte. Wordsworth war ein reiches, tiefes Dichtergemüt, doch auch tändelnd mit seinem Gefühle und nicht immer Herr der Phantasie; Coleridge ist ein Kenner des Menschenherzens, nur oft zu wohlgefällig in Schilderung des Furchtbaren; Southey ist ein Freund des Übernatürlichen und Abnormen, nimmt aber oft den Schein für den Kern, während Campbell durch den melodischen Fluß seiner Verse mitunter an die ältere Schule erinnert.

Aus derselben und der folgenden Periode sind noch zu nennen: George Crabbe ("The library", "The village", "The parish register", "Tales of the hall"), Samuel Rogers ("The pleasure of memory"), Hartley Coleridge und seine Schwester Sarah Coleridge ("Phantasmion"), James Hogg, der sog. Ettrick-Schäfer ("Queen's wake"), Robert Bloomfield ("Farmer's boy", "Rural tales"), James Grahame ("Mary Stewart, Queen of Scots"), John Keats ("Endymion", "Hyperion"), Leigh Hunt ("Story of Rimini"), Walter Savage Landor ("Gebir", "Count Julian", "Imaginary conversations"), Letitia Landon, James Montgomery ("Wanderer of Switzerland", "West Indies", "Pelican Island"), John Clare, Robert Pollok, John Wilson ("Isle of palms"), Ebenezer Elliott ("Corn-law-rhymes"), William Herbert ("Attila"), Barry Cornwall, eigentlich Bryan Waller Procter ("Marcian Colonna; English songs"), Henry Hart Milman ("The Belvedere Apollo"), John Keble ("The christian year"), Felicia Hemans, Th. Hood ("The bridge of sighs", "The song of the shirt", "The dream of Eugene Aram). Dichter, die den Übergang in die jetzt herrschende Richtung bezeichnen, sind Bulwer, Macaulay, A. A. Watts, Dobell (Pseudonym Sidney Yendis), Aird, Alex. Smith, der schott. Balladendichter Aytoun, Emmeline Wortley, Eliza Cook, Adelaide Procter, Miß Jean Ingelow; auch müssen hier noch erwähnt werden Rob. Lytton (Sohn Lord Bulwer Lyttons, als Schriftsteller unter dem Namen Owen Meredith bekannt) und Mary Anne Evans, bekannt unter dem Namen George Eliot ("The Spanish gipsy"). Als Übersetzer verdienen genannt zu werden Lord Strangford, Bowring, Lockhart, Merivale, Lord Ellesmere, Anster, Blackie und Martin. Gegenwärtig ist Alfred Tennyson noch immer in hoher Gunst bei dem Publikum. Neben ihm erfreut sich Rob. Browning einer großen Bewunderung, wenngleich keiner eigentlichen Popularität.

Zum Schluß ist noch eine Anzahl von Dichtern zu erwähnen, die sich durch ihren Bruch mit den in der Kunst bisher als gültig anerkannten Normen als eine neue Schule bekundeten. An der Spitze derselben stand John Ruskin mit seinem Werke "Modern painters". Man hat diese Schule, deren litterar. Hauptvertreter Algernon Ch. Swinburne, William Morris und Dante Gabriel Rossetti sind, von einer Seite die satanische, von einer andern die präraffaelische genannt. Ursprünglich ist sie hervorgegangen aus einem Protest gegen alles Konventionelle, Unwahre, Gekünstelte und hat nach dieser Richtung hin viel Gutes gewirkt. Wenn sie aber in jüngerer Zeit zu bloßer Affektion und künstlerischer Absonderlichkeit ausgeartet ist, so kann man dafür die ursprünglichen Vertreter dieser Richtung nicht verantwortlich machen wollen. Kurz charakterisiert wird diese Richtung in J. MacCarthys "History of our own times", Bd. 5 (Lpz. 1880). Von modernen lyrischen Erscheinungen machte Lord Lyttons Epos "Glenaveril, metamorphoses" berechtigtes Aufsehen. George Meredith dichtete "Poems and lyrics of the joy of earth", Lewis Morris "Songs unsung" und das Drama "Gycia". Die heiter ironische Gesellschaftsdichtung wird durch Andrew Lang vertreten.

Die dramatische Kunst war zu Anfang unsers Jahrhunderts mehr und mehr gesunken. Die Sucht nach Neuem und der schnelle Überdruß hinderten einen stetigen Fortschritt. Trotzdem die Bühne heute kaum noch unmittelbar aufs Volk wirkt, ist die dramat. Poesie unstreitig vor-, nicht zurückgeschritten, sie hat vielmehr die ihr zu Ende des 17. Jahrh. gegebene künstliche Richtung verlassen, um sich wieder in den frischen Born der Natur zu tauchen. Einige von Sheridan, Mrs. Inchbald und Scott aus dem Deutschen übersetzte Stücke leiteten eine neue Periode ein; Joanna Baillie lieferte (seit 1798) eine Reihenfolge von Trauer- und Lustspielen, deren jedes eine bestimmte Leidenschaft schildert, Coleridge schrieb "Remorse" (1813), Procter "Mirandola" (1821), beide freilich mehr lyrisch. Frei von Nachahmung, wenn auch wenig bühnengerecht, dichtete Byron. Gedankenvoll und tiefsinnig, wie seine Dramen sind, fehlt es ihnen allerdings an Effekt und richtiger Charakterzeichnung, sodaß sie sich nicht auf der Bühne behaupten konnten. Mehr auf den Geschmack des größern Publikums berechnet sind die Produkte von Sheridan Knowles (1784-1862), der sich besonders in