Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

726

Reichsjustizgesetze - Reichskommissar

gesetze seitens der Einzelstaaten abliegt. Von dem R. ressortieren nur das Reichsgericht und die Reichsanwaltschaft, sowie zur Zeit die Kommission zur Ausarbeitung eines Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs. Bis zur Errichtung des Ministeriums für Elsaß-Lothringen in Straßburg (1879) war auch die gesamte Justizverwaltung des Reichslandes dem R. unterstellt. Der an der Spitze des R. stehende Staatssekretär ist für sein Ressort mit der Stellvertretung des Reichskanzlers (s. d.) nach Maßgabe des Gesetzes vom 17. März 1878 beauftragt.

Reichsjustizgesetze, s. Justizgesetze, deutsche.

Reichskammergericht, im ehemaligen Deutschen Reiche neben dem Reichshofrat (s. d.) das höchste Gericht; es kam unter Kaiser Maximilian Ⅰ. 1495 zu stande. Seine Errichtung, durch welche das kaiserl. Hofgericht beseitigt wurde, kennzeichnet den wachsenden Anteil der Reichsstände an der Ausübung der Reichsgewalt. Das R. bestand aus einem vom Kaiser ernannten Kammerrichter fürstl., gräfl. oder freiherrlicher Abkunft, zwei Präsidenten und einer bald geringern, bald größern Anzahl Beisitzer (anfangs 16, dann 50 und 25). Diese waren nach der Reformation teils katholisch, teils evangelisch und wurden von den Reichsständen gewählt. Das R. wurde durch Abgaben der Reichsstände, das sog. Kammerziel (s. d.), unterhalten. Sie waren ferner teils «der Recht gelert und gewirdigt», teils aus der Ritterschaft. Das R. hatte seinen Sitz anfangs in Frankfurt a. M., dann in verschiedenen Reichsstädten, später in Speyer, seit 1693 in Wetzlar. Dasselbe sollte «nach des Reichs und gemeinen Rechten und nach ehrbaren und redlichen Ordnungen und Statuten» entscheiden; übrigens verfuhr es nach den Reichskammergerichtsordnungen. Es urteilte über alle Rechtssachen der Reichsunmittelbaren und war zugleich höchste Instanz für die Reichsmittelbaren, jedoch nur in Civilsachen. Aber auch hierin war es durch die Privilegien de non appellando verschiedener Reichsstände beschränkt. Indessen konnte jeder Beschwerden über verweigerte oder verzögerte Justiz und wegen Nichtigkeit selbst in Kriminalsachen von den Landesgerichten in dieses Reichsgericht bringen. Die Kammergerichtsordnungen von 1495, von 1548, promulgiert 1555, und von 1613 sind wichtig und maßgebend für die Entwicklung des deutschen Civilprozesses. Die Akten des Reichskammergerichtsarchivs sind zum größten Teil unter die einzelnen deutschen Staaten verteilt. Die untrennbaren Teile des Archivs sind in Wetzlar unter preuß. Obhut verblieben. – Vgl. J. J. ^[Johann Jakob] Moser, Von der deutschen Justizverfassung (2 Bde., Frankf. 1774); Thudichum, Das vormalige R. (in der «Zeitschrift für deutsches Recht», Bd. 20, Lpz. 1860).

Reichskammergüter, der zum Unterhalt des kaiserl. Hofs und zu andern Bedürfnissen des alten Deutschen Reichs bestimmte Vermögenskomplex.

Reichskanzlei, s. Reichskanzler.

Reichskanzler, im ehemaligen Deutschen Reiche ein Erzamt, das stets vom Kurfürsten (Erzbischof) von Mainz als Kurerzkanzler bekleidet wurde. (S. Erzkanzler und Kanzler.) Vgl. Stumpf, Die R., vornehmlich des 10., 11. und 12. Jahrh. (3 Bde., Innsbr. 1865‒74).

Im neuen Deutschen Reiche ist der R. der höchste, vom Kaiser ernannte Regierungsbeamte, welchem nach Art. 15 der Reichsverfassung der Vorsitz im Bundesrate und die Leitung der Geschäfte zusteht; ferner bedürfen nach Art. 17 der Reichsverfassung die im Namen des Reichs vom Kaiser erlassenen Anordnungen und Verfügungen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des R., welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt. Der R. ist daher der einzige verfassungsmäßig verantwortliche Minister des Reichs; diese Verantwortlichkeit ist jedoch, da kein Ministerverantwortlichkeitsgesetz besteht, nur eine moralische und politische, nicht eine gerichtliche. Der R. leitet die gesamte Verwaltung des Reichs, insbesondere die auswärtige Politik des Reichs, vermittelt aber auch die Beziehungen zu den Landesregierungen. Nach dem Gesetz betreffend die Stellvertretung des R. vom 17. März 1878 kann auf Antrag des R. in Fällen der Vehinderung desselben vom Kaiser ein Stellvertreter allgemein für den gesamten Umfang der Geschäfte und Obliegenheiten des R. ernannt; auch können für diejenigen einzelnen Amtszweige, die sich in der eigenen und unmittelbaren Verwaltung des Reichs befinden, die Vorstände der dem R. untergeordneten obersten Reichsbehörden mit der Stellvertretung im ganzen Umfange oder in einzelnen Teilen ihres Geschäftskreises beauftragt werden. Doch ist dem R. vorbehalten, jede Amtshandlung auch während der Dauer einer Stellvertretung selbst vorzunehmen. Die Bestimmung des Art. 15 der Reichsverfassung wird indes durch dieses Gesetz nicht berührt. Unter der unmittelbaren Leitung des R. wurde ursprünglich für die dem R. obliegende Verwaltung und Beaufsichtigung der durch die Reichsverfassung zu Gegenständen der Reichsverwaltung gewordenen Reichsangelegenheiten durch Präsidialerlaß vom 12. Aug. 1867 ein Bundeskanzleramt errichtet, welches 1871‒79 den Namen Reichskanzleramt führte und seit 1. Jan. 1880 Reichsamt des Innern (s. d.) heißt. Daneben bestehen noch andere Centralbehörden, die sich aus dem Reichskanzleramt abzweigten. Das unmittelbar dem R. unterstehende Bureau, das den amtlichen Verkehr mit den Chefs der einzelnen Reichsämter vermittelt, heißt Reichskanzlei. (S. Deutschland und Deutsches Reich, Bd. 5, S. 149 a.)

Im Norddeutschen Bunde hatte derselbe Beamte den Titel Bundeskanzler; als solcher wurde durch Präsidialerlaß vom 14. Juni 1867 Graf Bismarck ernannt, der dann auch bei Gründung des Deutschen Reichs die Würde als R. beibehielt; am 20. März 1890 trat an die Stelle des Fürsten Bismarck der General von Caprivi, der 29. Nov. 1894 durch den Fürsten Hohenlohe-Schillingsfürst ersetzt wurde.

In Österreich-Ungarn führte eine Zeit lang den Titel R. der Vorsitzende des Gemeinsamen (Reichs-) Ministeriums, zu welchem 23. Juni 1867 Freiherr (später Graf) von Beust ernannt wurde. Als derselbe jedoch 8. Nov. 1871 von dieser Stellung zurücktrat, wurde sein Nachfolger als Reichsminister des Äußern, Graf Andrássy, zwar gleichzeitig mit dem Präsidium im Reichsministerium betraut, ohne indes den Titel R. zu erhalten. Fürst Metternich führte als österr. Premierminister den Titel Staatskanzler, wie seinerzeit auch in Preußen Fürst Hardenberg.

In Rußland ist R. fast ausschließlich der Titel des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten.

Reichskassenscheine, s. Kassenscheine.

Reichskleinodien, s. Insignien.

Reichskollegien, s. Reichstag.

Reichskommissar, amtlicher Titel von Beauftragten des Reichs, denen eine bestimmte abgeschlossene Aufgabe zugewiesen ist (z. B. der R. für das Auswanderungswesen mit dem Sitze in Ham- ^[folgende Seite]