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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Vorschlag - Vorsehung

Vorschlag (ital. appoggiatura), in der Musik ein hinsichtlich der Harmonie unwesentlicher Ton, der irgend einem Hauptton in einer Melodie hinzugefügt wird, um auf ihn vorzubereiten und ihn dadurch besonders zu heben. Als Verzierung der Melodie werden die V. daher mit kleinen Noten geschrieben, um sie von den wesentlichen Noten zu unterscheiden. Der V. kann lang oder kurz sein und aus dem Ton über oder unter der Hauptnote bestehen; seine Bedeutung ist immer, die Lücken, die durch eine sprungweise Fortschreitung der Melodie entstehen, angenehm und gesangmäßig auszufüllen.

Vorschmied, s. Lehrschmieden.

Vorschneider, ein Teil des Pfluges (s. d.).

Vorschoner, Schiff, s. Gaffelschoner.

Vorschoten, die Schoten (s. d.) eines Segels vorholen, so daß die Schothörner an die Nocken (s. Nock) der untern Rahen kommen; dies geschieht beim Setzen (Entfalten) der Segel.

Vorschuß, häufig soviel wie Darlehn; Vorschußgeschäft soviel wie Lombardgeschäft (s. d.) oder Pfandleih- und Rückkaufsgeschäft (s. d.). Im engern Sinne, namentlich im Handelsverkehr, ist V. eine im voraus geleistete Zahlung, wie der V., welchen der Kommissionär auf das von ihm abzuschließende Geschäft seinem Auftraggeber giebt, der V., welchen der Dienstherr seinem Handlungsgehilfen oder Arbeiter auf den noch nicht fälligen Lohn giebt, der V., welchen die Parteien zur Sicherheit der Gerichtskasse bei Beginn des Prozesses, bei Einlegung eines Rechtsmittels u. s. w. auf die demnächst zu liquidierenden Gerichtskosten zu zahlen haben u. s. w. Der V. ist, wenn die Forderung fällig wird, auf welche er geleistet ist, davon abzurechnen, und wenn eine Forderung nicht oder nicht in der Höhe entsteht, ganz oder zum überschießenden Teile zurückzugeben. Der Kaufmann kann von seinem V. Zinsen berechnen.

Über Postvorschuß s. Nachnahme.

Vorschuß- und Kreditvereine, Kreditgenossenschaften, auch Volksbanken oder Gewerbebanken genannt, die seit 1850 von Schulze-Delitzsch und seinen Anhängern in Deutschland und dann in fast allen europ. Ländern ins Leben gerufenen Vereine, namentlich der kleinern Unternehmer, zur Erzielung ähnlicher Vorteile für ihr Kreditbedürfnis, wie sie die Großunternehmer früher allein genossen. Durch die Vereinigung und (ursprünglich) solidarische Haftung aller einzelnen Vereinsmitglieder sollten Verbände geschaffen werden, welche befähigt sind, sich billigen Kredit zu beschaffen und ihn an ihre Mitglieder zu einem etwas höhern Zinsfuße zur Verfügung zu stellen. Über die hierauf bezügliche Genossenschaftsgesetzgebung und deren Abänderung von 1889 s. Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften. Die Einrichtung hat sich für den Kredit der kleinen Gewerbtreibenden (Händler, Handwerker, Landwirte) vorzüglich bewährt, und die Kreditgenossenschaften nehmen unter den Genossenschaften die erste Stelle ein. Von den 31. Mai 1896 im Deutschen Reiche gezählten 13005 Genossenschaften sind 8069 Kreditgenossenschaften (gegen 6417 im Vorjahre), einschließlich vieler genossenschaftlich organisierter Darlehnskassen nach dem System Raiffeisen (s. Darlehnskassenvereine). Es betrug 1895 die Mitgliederzahl von 1068 Genossenschaften, deren Statistik in den Jahresbericht aufgenommen ist, 525748, die gewährten Credite und Prolongationen 1659305785 M., die Geschäftsguthaben der Mitglieder 125791326 M., die Reserven 37693574 M., die aufgenommenen fremden Gelder 467123041 M., das eigene Vermögen 163484900 M. (34,99 Proz. des gesamten Betriebskapitals). An gewährtem Kredit kam auf den einzelnen Genossen 3156 M. gegen 3040 M. im Vorjahre. Von den Mitgliedern waren, soweit diese erhoben wurden, 32 Proz. selbständige Landwirte, Gärtner, Förster, Fischer, 25,4 Proz. selbständige Handwerker, 8,7 Proz. Kaufleute und Händler; der Rest fällt auf andere Berufe und unselbständige Erwerbszweige. Anfang 1896 bestanden endlich 20 Centralkassen für Kreditgenossenschaften, davon 17 in Preußen, wohl zumeist zu dem Zwecke errichtet, den Genossenschaften die Mittel der in Preußen durch das Gesetz vom 31. Juli 1895 errichteten Centralgenossenschaftskasse zuzuführen, welche dazu berufen ist, den Vereinigungen und Verbandskassen von Genossenschaften Darlehen zu gewähren. In Österreich gab es Ende 1894: 2342 registrierte Vorschußvereine, wovon 986 mit beschränkter, die übrigen mit unbeschränkter Haftung. Der Zuwachs des Jahres betrug 337 Vereine. Aufgelöst wurden 24 Vereine. Von den andern Ländern weist namentlich Italien eine rasche Zunahme der Vorschußvereine auf; so zählte man dort an Volksbanken (banche popolari), d. i. Kreditgenossenschaften mit beschränkter Haftung, 1894: 720, welche ein Vermögen (eingezahltes Kapital und Reservefonds) von 114,72 Mill. Lire besaßen. Auch bestehen zahlreiche Darlehnskassen nach dem System Raiffeisen, die in neuerer Zeit auch von der kath. Partei sehr propagiert werden.– Vgl. Schulze-Delitzsch, V. u. K. als Volksbanken (6. Aufl., Bresl. 1897); Henry W. Wolf, People’s Banks (Lond. 1893); ferner die Jahresberichte über die auf Selbsthilfe gegründeten Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (s. d.).

Vorsegel, s. Segel.

Vorsehung, Fürsehung (lat. providentia), religiöse Bezeichnung für die göttliche Leitung der Weltentwicklung, oder auch für die Gottheit selbst, sofern sie gemäß ihrer allweisen und allgütigen Voraussicht alles Geschehen zu einem zweckvollen Ziele lenkt. Der Ausdruck ist gebildet unter Übertragung zeitlicher Unterschiede auf Gott (Vorher und Nachher, Beschließen und Ausführen u. s. w.), was bei streng wissenschaftlicher Fassung fern zu halten ist. Schon dies macht den Begriff der V. zu einem sehr schwierigen. Weitere Schwierigkeiten erwachsen ihm aus den Thatsachen des weltlichen Übels und der menschlichen Sünde und Freiheit. Von jeher sind diese Fragen Hauptprobleme der christl. Theologie gewesen. Mit besonderer Energie nahm die altprot. Theologie sie auf, doch vorerst nur im Interesse besonderer religiöser Fragen. So nahm sie z. B. an der zeitlichen Fassung der V. keinen Anstoß, erklärte das Übel einfach als Strafe der Sünde, ging aber über die Freiheitsfrage völlig auseinander. Die reform. Theologie leugnete, die lutherische behauptete die menschliche Freiheit, beide ohne die dabei entstehenden Widersprüche bewältigen zu können. (S. Prädestination.) Diese hinderten auch in der supranaturalistischen und rationalistischen Theologie des 18. Jahrh. jede klare Erledigung dieser Fragen, obwohl der Prädestinationsstreit längst zurückgetreten war. Kant brach mit der Übertragung zeitlicher Anschauungsweise auf Gott, und forderte aus praktisch-sittlichen Gründen die Freiheit des Menschen, ließ aber ihr Verhältnis zur göttlichen Allmacht im Dunkeln und forderte