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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Vorkeim - Vormundschaft

dernd wirkt, und dem andern nur eine ziemlich wertlose Aussicht eröffnet. Wenngleich aus diesem Grunde die Retraktrechte fast überall aufgehoben sind, ist die rechtsgeschäftliche Bestellung eines dinglichen V. doch noch meist nachgelassen (Preuß. Allg. Landr. Ⅰ, 20, §§. 570, 631, u. a.). Auch nach Deutschem Bürgerl. Gesetzb. §. 1094 bleibt sie möglich.

Die neuerlichen agrarischen Bestrebungen gehen dahin, das dingliche V. zu benutzen, um dem Großgrundbesitzer bei Veräußerungen an Kleingrundbesitzer eine feste Hand an dem veräußerten Gute zu lassen und hierdurch die Neigung desselben zur Begründung kleinerer Stellen zu begünstigen. Man erhofft auf diesem Wege die Erhaltung eines angesessenen Arbeiterstandes, welcher den Überschuß seiner Kräfte dem Großbesitzer zu Gebote stellt.

In einem andern Sinne heißt V. das Recht, öffentlich feilgebotene Waren taufen zu können, ehe andere kaufen dürfen. So verbietet man z. B. polizeilich den Kleinhändlern, Lebensmittel und andere Gegenstände des Marktverkehrs in den ersten Stunden des Marktes, namentlich aber vor der Marktzeit auf den nach den Marktplätzen führenden Wegen und Straßen aufzukaufen. Zweck dieses Verbots ist, den Konsumenten den Vorteil des V., welchen die Händler nicht haben sollen, einzuräumen. Man will dadurch den Konsumenten die Gelegenheit verschaffen, sich bei den Produzenten besser und billiger zu versorgen, glaubte so auch bedeutende Preissteigerungen, welche ein ausgedehnter Aufkauf (s. d.) hervorbringen könnte, zu verhüten. – Vgl. E. Jaeger, Das V. nach Gemeinem Recht (Marb. 1893).

Vorkeim, deutscher Name für das Prothallium der Gefäßkryptogamen (s. Farne) und das Protonema der Moose (s. d.).

Vorkinder, s. Einkindschaft.

Vorkratze, Vorkrempel, s. Spinnerei.

Vorladung, im Prozeß, s. Ladung.

Vorladung, in der Baukunst, s. Ausladung.

Vorlage, in der chem. Technologie, s. Destillation.

Vorlage, in der Baukunst, s. Risalit.

Vorland, das außerhalb eines Wirtschaftskomplexes liegende, für sich bewirtschaftete Land; im Wasserbau die neuen Sinkstoff- oder Anschwemmungsgebilde unterhalb von Flußinseln oder vor den Uferlinien, z. B. den Meeres- oder Flußdeichen; auch alles Land, das zur Sicherung der Deiche erforderlich ist oder wegen unregelmäßiger Gestalt nicht mit eingedeicht werden konnte, heißt V. (S. auch Alluvion.)

Vorlauf, s. Spiritusfabrikation.

Vorläufige Verwahrung, s. Festnahme und Untersuchungshaft.

Vorläufige Vollstreckbarkeit, s. Zwangsvollstreckung.

Vorlegeschloß, Vorhängeschloß, s. Schloß.

Vormaischapparat, s. Bier und Bierbrauerei.

Vormaischbottich, s. Spiritusfabrikation.

Vormann, im Wechselrecht, s. Wechselregreß.

Vormark, frühere Bezeichnung der Prignitz (s. d.).

Vormars, s. Mars (Seewesen).

Vormarsch, s. Kriegsmarsch.

Vormerkverfahren, auch Zollrestitutionsverfahren, in der österr. Zollsprache soviel wie Veredelungsverkehr (s. d.); es ist nur zulässig gegen Sicherstellung des Zolles und Nachweis der Identität der nach der Zubereitung, Umgestaltung und Veredelung wieder ausgeführten Ware und unterliegt der Bewilligung des Finanzministeriums.

Vormundschaft (lat. tutela, cura), die durch Rechtsvorschrift angeordnete Fürsorge und Vertretung für Personen, welchen die erforderliche Selbständigkeit ganz oder zum Teil fehlt. Die mit der Fürsorge und Vertretung befaßte Person heißt Vormund. Die V. galt im röm. Rechte noch als eine Privatangelegenheit mit sehr beschränkter Oberaufsicht; nur ausnahmsweise trat eine obrigkeitliche Fürsorge ein. Im deutschen Rechte findet sich hingegen ein Bevormundungsrecht nicht selten sogar mit dem Nießbrauche des Vermögens verbunden. Allmählich entwickelte sich ein weitgehender Schutz seitens des Königs und seiner Beamten bis zur regelmäßigen Entwicklung der Obervormundschaft (s. d.). Die Reichspolizeiordnungen von 1548, Tit. 31, und 1577, Tit. 32, stellen die Bevormundung unter die Pflichten der Obrigkeit. Die Obrigkeit verpflichtet den Vormund und überwacht seine Handlungen. Auf diesem Boden steht noch das Österr. Bürgerl. Gesetzb. §§. 187 fg. – Dem Preuß. Allg. Landrecht, welches die Lehre im öffentlichen Rechte abhandelt, Ⅱ, 18, ist der Vormund ein Bevollmächtigter des Staates. Die V. ist ein öffentliches Amt, die leitende Behörde das Gericht, in dessen Hand der Schwerpunkt der Verwaltung liegt. So vorteilhaft diese Regelung für die Sicherheit des Bevormundeten ist, so häufig und unter Umständen nachteilig ist der schleppende Geschäftsgang. Die Stellung des Vormundes, welcher nur Organ einer Behörde ist, erscheint als unnatürlich. Umgekehrt tritt bei der Regelung seitens des Code civil Art. 390 fg. die Familie zu sehr in den Vordergrund ; der Familienrat (s. d.) ist im wesentlichen Obervormundschaftsbehörde; nur in wichtigen Fällen der Verwaltung ist eine Genehmigung seitens des Gerichts erforderlich. Eine Mittelstellung nehmen das elsaß-lothring. Gesetz vom 13. Okt. 1873 und die Preuß. Vormundschaftsordnung vom 5. Juli 1875 ein. Diesen folgt im wesentlichen das Deutsche Bürgerl. Gesetzb. §§. 1773 fg.

Während nach manchen Rechten, im Anschluß an das Gemeine Recht, noch Berufung zur V. durch Testament oder Gesetz und obrigkeitliche Bestellung unterschieden werden, tritt nach den neuern Gesetzen, von gewissen Ausnahmen abgesehen, der Vormund stets erst durch Bestellung in das Amt (vgl. Österr. Bürgerl. Gesetzb. §§ 190, 204; bad. Gesetz vom 6 Febr. 1879, §. 18; Deutsches Bürgerl. Gesetzb. §§. 1779 u. 1791). Nach dem Code civil treten dagegen die durch das Gesetz berufenen Vormünder von selbst in ihr Amt. Die Ausnahmen der neuern Gesetze betreffen vorzugsweise die Eltern in denjenigen Fällen, in welchen (wie nach der Preuß. Vormundschaftsordnung §§. 12, 95) diesen noch eine gesetzliche V. gewährt wird, und ferner gewisse Erziehungsanstalten, deren Vorstand gesetzlicher Vormund ist. Nicht selten sind auch die Mutter oder (so Deutsches Bürgerl. Gesetzb. §. 1776) die Großeltern kraft des Gesetzes als Vormünder berufen. Der Mündel genießt nach Gemeinem Rechte gegenüber dem Vormunde ein gesetzliches Pfandrecht; der Vormund soll auch in der Regel Sicherheit bestellen. Das gesetzliche Pfandrecht ist in Deutschland fast überall beseitigt. Nach Code civil Art. 2135, 2137, 2141 fg. hat der Mündel gesetzliche Hypothek an dem unbeweglichen Vermögen des Vormundes. Die entsprechenden Vorschriften des Badischen Landrechts sind durch Gesetz vom 29. März 1890, betreffend Vorzugsrechte und Unterpfandsrechte, §§. 4 fg. ersetzt, Satz 2135 ist geändert, Sätze 2136‒45 sind aufgehoben. Die Deutsche Konkursordnung §. 54 giebt dem Mündel in Ansehung des gesetzlich der Verwaltung des Vormundes unterwor- ^[folgende Seite]